Kultur: Das jahrelange Schweigen aufbrechen Bettina Greiner über „Verdrängten Terror“
Lang ist die Liste der Opfer, kurz das Gedächtnis der Zeit. Oder das Vergessen-Wollen und das Erneut-Verdrängen.
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Lang ist die Liste der Opfer, kurz das Gedächtnis der Zeit. Oder das Vergessen-Wollen und das Erneut-Verdrängen. Die Historikerin und Zeitgeschichtlerin Bettina Greiner aber rannte am Mittwoch in der Landeszentrale für politische Bildung offene Türen ein, als sie über die „Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland“ referierte. Nach intensiven Recherchen in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und im Erinnerungsarchiv Sachsenhausen wurde sie 2008 zu diesem Thema promoviert. Im vorigen Jahr erschien ihre Arbeit unter dem Titel „Verdrängter Terror“ im Buchhandel. Das Thema aber hat sie bis heute nicht losgelassen. In ihrem Studienort Bern, oder in Heidelberg, sagte sie, hätte es kaum Relevanz. Hier aber ist es vielleicht zu nahe dran. Worüber also reden, wenn man die Opferzahlen, Verhörmethoden und Erinnerungsberichte ihres Buches hier regelmäßig in den Medien wahrnimmt, wenn alles bekannt ist und sich trotzdem nichts ändert?
Bettina Greiner kämpft mit viel Engagement und Temperament gegen das abflauende Interesse, sie will verhindern, dass solche Erinnerungskultur auf Gedenkstätten beschränkt bleibe. Die Schicksale von mindestens 150 000, die zwischen 1945 und 1950 durch die Tretmühlen des sowjetischen Geheimdienstes NKWD gingen, lehren sie noch heute das Gruseln. Mehr als ein Zehntel davon kam um. War es Entnazifizierung oder Terror? Und wie mit dem „Nebeneinander deutscher Täterschaft und deutscher Opferschaft“ umgehen? Diese Fragen sind nicht neu, sie wurden schon in den 50er Jahren gestellt, nur ist wohl ein Vergessen dazwischen gerieselt. Absichtlich? In der späteren DDR mit Sicherheit; da wurde über dieses Thema vor allem eines getan: Geschwiegen.
Die Autorin sieht jedenfalls eine gewisse Dringlichkeit darin, auch die Opfergruppen nach 1945 zu würdigen. Mit ihren gut 50 Zuhörern – Zeitzeugen, Betroffene, Engagierte – war sie sich bald einig, dass es nicht „Opfer der ersten und zweiten Klasse“ geben dürfe, sondern nur Opfer und Täter, wie einer meinte. Auch das sah man vor fünfzig Jahren schon so. So blieben die Schrecken von Gestern präsent: NS-Lager wurden zu Lagern der Alliierten, in Ost und West, es gab hie und da „summarische Verhaftungen“ und jahrelange Haft, nur hätten sich die Westalliierten wenigstens um Rechtsvorbehalt bemüht und ordentliche Verfahren angestrengt, sagte Bettina Greiner.
In der sowjetischen Besatzungszone war die Verhaftung schon der Grund zur Anklage. Rechtlosigkeit herrschte mit barbarischen wie diffizilen Foltermethoden, mit Deportation und Todesstrafen. Das Recht der Sieger, wie überall. Dergestalt kann man Zahlen sammeln, Schicksale offenlegen, aber letztlich findet man so aus der Phänomenologie des Verbrechens nicht wieder heraus. Nimmt das Erinnern oder Erschrecken ab, wo sich längst neues Grauen aufgetürmt hat überall in der Welt? „Speziallager“ übrigens, so war zu erfahren, sei lediglich ein wissenschaftlicher Begriff, um sich von NS-Einrichtungen ähnlicher Art abzugrenzen.
Mag sein, dass es den Russen damals „im Land ihrer Mörder“ mehr um Terror als Entnazifizierung ging. Aber „verdrängten Terror“ nur immer im Osten und in der Vergangenheit zu suchen, ist genauso zu kurz gegriffen, wie weltgeschichtliche Vorgänge aus der Froschperspektive begreifen zu wollen. Gerold Paul
Bettina Greiner: Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland, Hamburger Edition 2010, 35 Euro
Gerold Paul
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