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Kultur: „Das Klappern in den fossilen Steinen“
Am morgigen Freitag stellt Antje Rávic Strubel ihren neuen Roman in Potsdam vor
Stand:
Frau Strubel, Ihr neuer Roman „Sturz der Tage in die Nacht“ beginnt mit dem Satz „Es hat begonnen, wie es immer beginnt.“ Da schwingt, so scheint es, Hoffnungslosigkeit mit. Egal was wir tun, es ist vergeblich, da wir sowieso dem Schicksal ausgeliefert sind?
Nein, es geht um den entscheidenden Moment, in dem eine Liebesgeschichte ihren Anfang nimmt. Das Charakteristische an diesem Moment ist neben der Beglückung die Schwierigkeit, ihn im Nachhinein genau zu bestimmen. Versuchen Sie mal, rückblickend festzustellen, in welchem Augenblick Sie sich verliebten. Das wird immer eine Erfindung sein, eine Erzählung, die man einander im Nachhinein liefert. Deswegen folgt diesem ersten Satz ein Satz, der lautet: Es beginnt immer unmerklich.
Inez, eine Forscherin Anfang 40, die auf einer Vogelschutzinsel in der schwedischen Ostsee arbeitet, versucht in „Sturz der Tage in die Nacht“ ihrer Vergangenheit zu entkommen. Aber ausgerechnet auf diesem kargen Eiland wird sie davon in zweifacher Weise eingeholt. Wir können den Schatten unserer Vergangenheit nicht entkommen, denn das Schicksal ist ein gnadenloser Bastard?
Inez will ein normales Leben führen. Sie hat die Nase voll von ihrem „Ostschicksal“. Sie würde genau das Gegenteil sagen: Schicksal ist Unsinn. Wann immer sich der Eindruck einstellt, irgendetwas sei Schicksal, stellt sich bald heraus, dass dahinter bloß Manipulation steckte von Menschen mit niederen Absichten. Als Autorin spiele ich allerdings mit dem antiken Schicksalsmoment. Wie in der griechischen Tragödie führt das Schicksal – oder die Götter? – Inez und Erik auf der schwedischen Insel zusammen. Oder sollte doch eine der handelnden Personen am Ende sogar die Autorin manipuliert haben?
Das weiß vielleicht nicht einmal die Autorin selbst. Inez aber hat diese Manipulation durch andere Menschen schmerzhaft erfahren müssen. Nun hat sie sich den Vögeln zugewandt, erforscht das Verhalten der Lummen für ihre Doktorarbeit. Ist dieses Interesse an den Tieren auf dieser menschenarmen Insel auch als Ausdruck ihrer Abkehr von den Menschen zu lesen?
Diese gotländische Vogelinsel stellt etwas Überzeitliches dar. Im Angesicht der fossilen, mehrere Hundert Millionen Jahre alten Strände erscheint menschliches Handeln nicht nur von seinem jeweiligen historischen Kontext enthoben. Es wird völlig bedeutungslos. Die kleingeistigen, niedrigen Umtriebe, mögen sie durch das System, in dem sie auftreten, legitimiert sein, wie im Fall der Diktatur, oder nicht, gehen ebenso spurlos vorüber wie die großen Gefühle. Wenn überhaupt etwas bleibt, dann nur das Klappern in den fossilen Steinen, die im Inneren einen versteinerten Schwamm haben.
Was sieht Inez in dieser Vogelwelt?
Die Vogelwelt folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als die menschliche. Es gefällt Inez, dass die Natur sogar sogenannte Naturgesetze außer Kraft setzen kann. Mich hat an dieser speziellen Vogelkolonie vor allem der Lummensprung fasziniert. Er war im Grunde der Auslöser dafür, den Roman zu schreiben. Bevor die Küken der Trottellummen flügge sind, werden sie von den Altvögeln aus dem Nest geworfen. Sie stürzen 60 Meter in die Tiefe. Die meisten überleben das und lernen schwimmen. Es ist ein gewaltiges und ein gewaltvolles Bild.
Und was sieht und findet Inez ausgerechnet in dem so viel jüngeren Erik?
Er verkörpert Leichtigkeit, Jugend, er ist unbeschwert, unbelastet, er sieht nicht schlecht aus. Er ist gleichzeitig hartnäckig und weich. Es gefällt ihr, von ihm umworben zu werden. Und der Altersunterschied macht die Sache noch erotischer.
Wie viel Hoffnung und wie viel Vergeblichkeit liegt in der Liebe zwischen Inez und Erik?
Sie mögen die Worte Hoffnung und Vergeblichkeit, Herr Becker Die Liebe von Inez und Erik ist wie jede große Liebe; die Hoffnung bezieht sich darauf, dass es klappt, und das Gefühl von Vergeblichkeit tritt ein, wenn man daran denkt, dass der andere einen verlassen oder dass er sterben könnte.
Diese Insel, abgeschlossen und überschaubar, vermittelt das Gefühl von Kontrolle. Eine Illusion?
Wenn Sie damit Kontrolle über das eigene Leben meinen, ist es in gewisser Weise eine Illusion. An die wir aber glauben müssen. Wir können es uns nicht leisten, uns als jene fragmentarischen, inkohärenten und fragilen Wesen zu sehen, zu denen unsere Erinnerung uns macht. Unser Ich beruht letztendlich ja auf der Erinnerung, und die ist unzuverlässig. Wenn wie in Eriks Fall entscheidende Teile der eigenen Vergangenheit gar nicht zugänglich sind, weil sie mit einem verschwundenen Land zu tun haben, wird die Kontrolle über die eigene Geschichte noch einmal zusätzlich infrage gestellt.
Eine inzestuöse Liebesbeziehung nach antikem Vorbild, das Gespenst Staatssicherheit, das auch 20 Jahre nach der Wende sein Unwesen treibt, und ein Vater, der sich als über Leichen gehender Politiker entpuppt, es ist nicht wenig, was Sie dort auf der kleinen Insel verhandeln.
Wenn ich einen Roman schreibe, verhandele ich nicht einzelne Themen. Eines entwickelt sich aus dem anderen, alles hängt im großen Romangefüge miteinander zusammen. Hier geht es um die Frage nach unserem Verständnis zur Natur. Um das der menschlichen Natur in erster Linie, was immer auch heißt: Wie nehmen wir uns als menschliche Wesen wahr? Welche körperlichen oder verwandtschaftlichen Umrisse benötigen wir, um einander und uns selbst zu erkennen? Was macht uns als Menschen aus? Bestimmt mich die biologische Verbindung oder ist es der geliebte Mensch? Auch beim Naturschutz geht es letztendlich um eine ethische Frage: Warum quälen wir? Oder mit Georg Büchner gefragt: „Was ist das, was in uns lügt, mordet und stiehlt?“ Vor dem Hintergrund dieser Frage lasse ich zwei unterschiedliche Figuren auftreten: Inez, die bis zu ihrem 21. Lebensjahr in der DDR gelebt hat, in ihrer ersten Liebe gefangen war, verraten wird und dadurch in die undurchsichtigen Ränkespiel der Stasi gerät. Und Erik, der den Mauerfall als Fünfjähriger erlebt und keine Verbindung mehr zur DDR hat. Er ist ein Nachgeborener, der aber ebenso in den Morast aus Lüge und Manipulation gerät. Diesen Morast gibt es – in anderer Form - auch heute.
Das Thema Staatssicherheit, das Sie in „Sturz der Tage in die Nacht“ in seiner ganzen Abgründigkeit offenlegen, ist auch im politischen Raum Brandenburgs wieder aktuell. Es scheint, als wären Sie mit ihrem Roman auch von diesen Schatten der Vergangenheit eingeholt worden.
Die Diskussion um die Stasi-Belastung in Brandenburg hat mich beim Schreiben tatsächlich eingeholt. Als Autorin ist man allerdings gern bereit zu glauben, man habe das herbeigeschrieben. Aber im Ernst: Es wurde Zeit, dass es auch hier endlich eine Beauftragte zur Stasi-Aufarbeitung gibt. Und ein Bewusstsein beispielsweise der Golmer Studenten dafür, dass sie an einem Ort studieren, an dem vor Kurzem noch Offiziere der Stasi in „operativer Psychologie“ unterrichtet wurden, kann ebenfalls nicht schaden.
Erik hat es scheinbar zufällig auf die Vogelschutzinsel verschlagen und er wird dort von einer Vergangenheit eingeholt, von der er noch nicht einmal etwas geahnt hat. Am Ende von „Sturz der Tage in die Nacht“ sagt Inez auf die Frage einer Reporterin, ob sie und der Junge etwas miteinander haben: „Wir haben alles“. Klingt das nicht allzu idyllisch, allzu romantisch nach all dem was passiert ist?
Für mich ist das ein schlichter Satz, hinter dem eine emotionale Reife steht. Inez ist mehrere Male in ihren Gefühlen verraten worden. Jetzt ist ihr ihr Sohn begegnet, und sie hat sich nach langer Zeit wieder verliebt. Sowohl die eine Form der Liebe als auch die andere richten sich auf dieselbe Person. Auf Erik. Das ist moralisch unmöglich. Sie aber beharrt darauf. Es ist eine Form der Selbstbehauptung. Ein: Trotz alledem!
Das Gespräch führte Dirk Becker
Antje Rávic Strubel stellt „Sturz der Tage in die Nacht“ am morgigen Freitag, 20 Uhr, im Literaturladen Wist, Brandenbuger/ Ecke Dortustraße vor. Der Eintritt kostet 5 Euro
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