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Kultur: „Das klassische Akkordeon kann wie eine Orgel klingen“
Der Österreicher Wolfgang Dimetrik hat Haydn-Sonaten auf dem Akkordeon eingespielt – am Wochenende ist er im Schloss Sacrow zu erleben
Stand:
Herr Dimetrik, Sie spielen Klaviersonaten von Joseph Haydn auf dem Akkordeon. Warum ausgerechnet auf diesem Instrument?
Da muss ich zuerst einmal etwas klarstellen: Es gibt zwei unterschiedliche Akkordeon-Typen.
Die meisten werden wohl nur das Akkordeon aus der Volksmusik und von den gnadenlosen Trommelfellattacken mancher Straßenmusiker kennen.
Ja, aber neben dem Musikantenstadl-Akkordeon gibt es auch das klassische Akkordeon. Der Unterschied besteht darin, dass wir auf dem klassischen Akkordeon über ein Einzeltonmanual verfügen. Dadurch können wir wie auf einem zweimanualigen Instrument wie Cembalo, Klavier oder Orgel agieren.
Trotzdem ist das klassische Akkordeon noch eine Seltenheit im Konzertsaal.
Das gibt es ja auch erst seit 1950. Darum hat es für uns leider auch nicht die großen Komponisten wie Bach, Beethoven oder Mozart gegeben.
Aber es gibt doch bestimmt zeitgenössische Komponisten, die für Ihr Instrument schreiben?
Natürlich, aber jeder Musiker hat den Wunsch, möglichst viele Stilrichtungen gespielt zu haben. Und es ist einfach ein wunderbares Gefühl, wenn man Haydn oder Bach auf seinem Instrument in den Fingern hatte. Das heißt dann, dass man sich auf die Suche nach geeigneten Stücken begeben muss. Das geht dann in der Renaissance beispielsweise mit Frescobaldi oder Rameau los und reicht bis in die Romantik.
Und bei Ihrer Suche sind Sie dann auf die Haydn-Sonaten gestoßen. Was macht ausgerechnet diese Kompositionen so reizvoll für das Akkordeon?
Alle sind selbstverständlich nicht für das Akkordeon geeignet. Aber die, die ich ausgesucht und auch für eine CD aufgenommen habe, klingen sehr gut, weil sie den Orgelklang meines Instruments sehr gut transportieren.
Aber Joseph Haydn hat diese Sonaten für das Cembalo komponiert.
Ja, trotzdem sind die meisten zweiten Sätze, typisch für seine Zeit, sehr langsam. Das kann ein Cembalo so fast nicht umsetzen. Und es ist meiner Meinung nach eine gute interpretatorische Idee, hier das Tempo sogar noch ein wenig mehr zu drosseln. Das ist mit dem Akkordeon durch dessen Orgelfähigkeit sehr gut möglich. Das hat mich natürlich sehr gereizt. Und gerade die Sonate XVI 42, deren erster Satz eine Überlänge von fast zehn Minuten hat, ist dem Akkordeon fast wie auf den Leib geschrieben. Sehr ruhige, langsame und tragende Töne. Auch der zweite Vivace-Satz passt von der Idee der Zweimanualigkeit wunderbar zu meinem Instrument.
So öffnen Sie für den Haydn-Freund, der die maßgebenden Einspielungen auf Cembalo und Klavier kennt, auch neue Zugänge, da er die bekannten Stücke nun ganz anders hört?
Natürlich, da ist man überrascht. Das merke ich bei Konzerten immer wieder. Und wie bei allem Neuen muss man sich als Zuhörer auch auf Haydn auf dem Akkordeon einlassen. Wer das an sich heranlässt, für den kann es dann auch sehr spannend werden, denn die Orgelfähigkeit des Akkordeons bringt Stimmen zutage, die beim Cembalo so nicht möglich sind. Das ist eine andere Form der Polyphonie, die Harmonien in diesen Sonaten noch deutlicher macht. Und es scheint auch anderen zu gefallen, denn von einem österreichischen Radiosender wurde mein Album mit dem Titel „CD des Monats“ ausgezeichnet.
Gibt es auch kritische Stimmen?
Die gibt es natürlich immer. Aber die sind sehr rar. Oft heißt es: Na endlich spielt hier einer nicht zum 1000. Mal Beethovens Fünfte, sondern Sonaten, die man schon kennt, ausgerechnet auf dem Akkordeon. Und ich bin ja nicht der Erste, der das gemacht hat. Mit Haydn vielleicht schon. Aber beispielsweise Bach wurde ebenfalls in unterschiedlichsten und auch ungewöhnlichen Besetzungen neu interpretiert. Daher habe ich auch kein schlechtes Gewissen, mit dem Akkordeon neue Ufer zu beschreiten.
Bei welchen Komponisten spüren Sie die Grenzen des Akkordeons?
Das ist die Epoche der Romantik. Diese verschwommenen, wenn man das Klavier nimmt, pedalgetretenen Klänge, dieses Schwimmende bei Brahms oder Schubert, dafür ist das Akkordeon zu direkt, das lässt sich nicht ernsthaft umsetzen.
Aber als klassischer Musiker auf dem Akkordeon sind Sie doch bestimmt eher ein Exot?
Als ich Akkordeon studiert habe, waren wir nur fünf in der Klasse. Mittlerweile bieten mehrere Hochschulen das Akkordeon an und die Bewerberzahlen steigen. Aber es ist immer noch eines meiner Herzensanliegen, das klassische Akkordeon in der breiten Öffentlichkeit bekannter zu machen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Wolfgang Dimetrik spielt am morgigen Freitag und Samstag, 12. Dezember, jeweils 19 Uhr, Haydn-Sonaten auf dem Akkordeon im Schloss Sacrow, Krampnitzer Straße 33. Der Schauspieler Hans Jochen Röhrig liest Texte und Briefe von Haydn. Der Eintritt kostet 15, ermäßigt 12 Euro
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