Kultur: Das knappe Glück des Andreas E. Robert Seethaler liest am Samstag in Potsdam
Andreas Egger ist ein einfacher Mann. „Er dachte langsam, sprach langsam und ging langsam, doch jeder Gedanke, jedes Wort und jeder Schritt hinterließen ihre Spuren, und zwar genau da, wo solche Spuren seiner Meinung nach hingehörten“, beschreibt Robert Seethaler seinen Protagonisten.
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Andreas Egger ist ein einfacher Mann. „Er dachte langsam, sprach langsam und ging langsam, doch jeder Gedanke, jedes Wort und jeder Schritt hinterließen ihre Spuren, und zwar genau da, wo solche Spuren seiner Meinung nach hingehörten“, beschreibt Robert Seethaler seinen Protagonisten. Anfang des 20. Jahrhunderts wird er als Waisenkind von seinem Onkel in ein abgelegenes Alpendorf geholt, dort sogleich als Hofknecht eingesetzt und fast zum Krüppel geprügelt. Kaum erwachsen, kehrt Egger seinem Peiniger den Rücken. Seither lebt er allein für sich im Dorf, wo er als hinkender Sonderling gilt, doch dank seiner Stärke und Tüchtigkeit als Gelegenheitsarbeiter stets ein kärgliches Auskommen findet.
„Ein ganzes Leben“ heißt der Roman um Andreas Egger, den der Autor Robert Seethaler am Samstagabend in der Villa Quandt vorstellen wird – und er ist eine so simpel anmutende wie zugleich tief berührende Geschichte.
Auf gerade einmal 160 Seiten komprimiert der 1966 geborene und in Berlin und Wien lebende österreichische Autor die mehr als sieben Lebensjahrzehnte seines Romanhelden. In einer Abfolge verdichteter Episoden werden sie mit Leben gefüllt – häufig sehr bildhaft und ohne jegliche fabulierende Abschweifungen. Auch Seethalers Sprache ist sehr klar und schnörkellos, sorgfältig punktgenau, knapp. Unprätentiös. Oft lakonisch. Gerade das kommt dem stoisch gelassenen Wesen des Andreas Egger nahe.
Denn der ist kein Mann der großen Worte, eher ein Tatmensch, der die Dinge lieber anpackt, als über sie zu reden. Etwas abseits des Dorfes baut sich Egger ein Haus und führt, mit sich im Reinen, inmitten einer Natur, die er jeden Tag aufs Neue bewundert und deren Gefahren er kennt, ein hartes, ein bescheidenes Leben. Bald findet er Arbeit bei einer Firma, die ganz in der Nähe die ersten Seilbahnen baut und damit auch die Elektrizität in die abgeschiedene Gebirgsregion bringt. Er lernt Marie, die Liebe seines Lebens, kennen – und verliert sie auf tragische Weise wieder.
Das kleine Alpendorf bleibt Eggers Heimat, die er nur verlässt, als er im Zweiten Weltkrieg kämpfen muss, irgendwo im Kaukasus. Erst nach jahrelanger Gefangenschaft kehrt er wieder zurück und macht sich als Fremdenführer selbstständig, denn inzwischen überschwemmen Touristen das verschlafene Bergdorf. Es ist der Lauf der Dinge, dem sich Egger mit sanftem Gleichmut fügt – ohne sich jedoch darin zu verlieren.
Auf einen auffälligen Plot verzichtet Seethaler in seinem fünften, längst zum Bestseller avancierten Roman „Ein ganzes Leben“. Tatsächlich ist es ein leises Buch, eine auf das Elementare reduzierte Lebensgeschichte, die ein Ton der Trauer durchzieht und in der dennoch nicht etwa die Leidensfähigkeit des Protagonisten erhöht wird. Es ist vielmehr das Porträt eines grundgütigen Menschen, der von den wenigen Glücksmomenten seines Lebens lange zehren kann und der die Kraft besitzt, ohne zu klagen und zu verbittern, all die Widrigkeiten und Schicksalsschläge zu ertragen und dadurch seine Würde behauptet. Daniel Flügel
Am Samstag, 30. Mai 2015, um 18 Uhr stellt Robert Seethaler seinen Roman „Ein ganzes Leben“ in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, vor. Der Eintritt kostet 8, ermäßigt 6 Euro.
Daniel Flügel
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