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Kultur: Das Kriegsende in Farbe

Individuelles Erinnern in einer Ausstellung der Brandenburgischen Landeszentrale

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Individuelles Erinnern in einer Ausstellung der Brandenburgischen Landeszentrale Wer erinnert sich noch daran, dass vor dem Alten Rathaus die Straßenbahn fuhr? Dass der Platz der Einheit, damals noch Wilhelmsplatz, ein Gemüseacker war? Anlässlich des sechzigsten Jahrestages des Kriegsendes hat sich Martina Schellhorn von der Landeszentrale für politische Bildung auf die Suche nach Zeitzeugen gemacht, die das Kriegsende in Potsdam erlebt haben. Denn, so Martina Schellhorn mit Blick auf das kollektive Erinnern, das sie zu DDR-Zeiten erlebte, Erinnern sei etwas Individuelles. Zufällig ergab sich der Kontakt zu Karlheinz Hesener, einem aus Düsseldorf stammenden Physiker, der seit den dreißiger Jahren in Potsdam lebt. Karlheinz Hesener, Jahrgang 1912, hat Potsdam sowohl vor dem Krieg als auch vom Frühsommer 1945 bis ungefähr 1947 in Farbe fotografiert. Die Bilder von damals sind zum eindrucksvollen Mittelpunkt der Ausstellung „Das Kriegsende in Potsdam“ geworden. Die Ausstellung wurde in der Landeszentrale in Anwesenheit der Zeitzeugen, deren Erinnerungsberichte ebenfalls an den Wänden hängen und eines Publikums, das bis hinaus in den Vorraum stand, eröffnet. In seiner Eröffnungsrede fragte der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, Professor Martin Sabrow, warum dem sechzigsten Jahrestag des Kriegsendes in Deutschland so viel Beachtung geschenkt werde. Viel mehr als dem fünfzigsten. Liege es daran, dass man lange Verdrängtes nun endlich aufarbeite? Oder nicht vielmehr daran, dass die Menschen, die den Krieg miterlebten, nun in einem Alter seien, in dem die Vergangenheit wichtiger werde, weil es die Zukunft kaum noch gebe und sie deshalb erzählen? Martin Sabrow wies darauf hin, dass heute von „Zeitzeugen“ gesprochen werde und die Frage, wer Täter, Mitläufer oder Opfer sei, weniger im Vordergrund stünde, als in den vergangenen Jahrzehnten. Es dürfe aber, im Erinnern an die Zerstörung der historischen Altstadt am 14. April 1945 um 22 Uhr durch britische Bomber und an die ungefähr 1200 Toten, nicht vergessen werden, dass alle neben ihrer Opferposition auch Täter waren. Nun ist zurückzufragen, ob jene Zeitzeugen nicht auch schon vor zehn Jahren berichtet hätten, hätte man sie befragt. Und viele waren zu Kriegszeiten Kinder, können vielleicht unbefangener erzählen, als die Älteren, weil ihnen gegenüber der Vorwurf des Täterseins wenig Sinn macht. Der 1930 geborene Werner M. schilderte zum Beispiel, wie er, trotz der Anweisung, Türen und Fensterläden zu schließen, die von Hunden und SS bewachte Häftlingskolonne beobachtet hatte, die über den heutigen Platz der Einheit Richtung Nauen lief. Teilweise barfuß in der Kälte des Frühjahrs 1945, in gestreiften Jacken und Hosen. Horst Goltz, Jahrgang 1930, brachte sich als Hitlerjunge in Lebensgefahr, als er Flugblätter der Alliierten sammelte, statt sie abzugeben. Diese Dokumente, die ab 1943 versuchten, die Bevölkerung aus ihrer Propagandaverblendung zu reißen, sind als Kopien in der Ausstellung zu sehen. Alle Berichte gehen auf die traumatische Bombennacht vom 14. April ein und zeigen, wie unterschiedlich der Informationsstand unter der Bevölkerung und die ersten Erfahrungen mit den gefürchteten Russen waren. Die Fotos, die teilweise eine Stadt zeigen, die es so schon lange nicht mehr gibt, überraschen durch eine erstaunliche Nähe zur Gegenwart. Diese entsteht zum einen durch die Farbe, wie Martin Sabrow anmerkte. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges verbinden wir gewöhnlich mit Schwarzweißdokumenten. Zum anderen entsteht Nähe durch Bauwerke, die erst kürzlich wieder im Stadtbild erschienen sind und deshalb mit der Gegenwart verbunden werden, wie zum Beispiel das Fortuna-Portal oder das Belvedere des Militärwaisenhauses. Bis zum 30. September haben nun alle Interessierten die Möglichkeit, sich auf die Reise in ein zwar zerstörtes, aber doch irgendwie schönes Potsdam zu begeben, das scheinbar ruhig unter blauem Himmel in der Sonne liegt. Dagmar Schnürer Die Ausstellung ist Mo.-Mi. 9-18 Uhr, Do. und Fr. 9-15 Uhr geöffnet. Potsdam, Heinrich-Mann-Allee 107, Haus 17

Dagmar Schnürer

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