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Kultur: Das Kuriosum aus dem Heizungskeller
„Hilbig. Eine Erinnerung“ im Waschhaus vorgestellt
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Als „Kuriosum aus dem Heizungskeller“ bezeichnete ihn die Literaturszene einst anerkennend und mystifizierte ihn damit zugleich. So was kann sich leicht fort spinnen, klischeehaft werden und zu gekünstelten Posen verleiten, in denen sich schlechte Schriftsteller oftmals gefallen. Wolfgang Hilbig aber, dessen Werk aus der deutschen Gegenwartsliteratur schon sprachlich geradezu herausragt, war als Autor ein Gigant und als Mensch, ganz ohne Attitüde, tatsächlich ein bemerkenswerter Sonderling. Ein kleiner, etwas klobig wirkender Mann in Räuberzivil, der zwar ein breites, schwer verständliches Sächsisch sprach, meist aber schwieg und nicht mal die einfachsten Auskünfte geben oder Fragen stellen konnte. Als sich der Filmregisseur Siegfried Ressel und der Buchhändler Carsten Wist am Sonntagabend im Waschhaus an ihren gemeinsamen Bekannten Wolfgang Hilbig erinnern, bestätigen sie auf bewegende Weise das Bild, das zuvor Ressels neuer Film von einem Menschen gezeichnet hat, der allein in seinen Texten lebte und den ganz normalen Alltag als Mühsal empfand.
Man musste ein wenig zusammenrücken, so voll war der Saal zur Vorpremiere von „Hilbig. Eine Erinnerung“. Ein filmisches Porträt, das sich eindringlich, dennoch behutsam und gänzlich frei von reißerischen Elementen präsentiert und jene zeigt, die diesen Dichter gut gekannt haben. In der leeren Wartehalle des Bahnhofs Meuselwitz, Hilbigs Geburtstadt, haben sich die Freunde um einen Tisch versammelt, sitzen sie bei Wein und Bier und erzählen Stück für Stück die Lebensstationen ihres 2007 verstorbenen Weggefährten nach. Da sind Hilbigs Jugendfreunde aus Meuselwitz, die weniger den Schriftsteller beschreiben als den Nachbarn, mit dem sie die Ausbruchsträume aus der staatlichen Enge teilten. Der Schriftsteller Gert Neumann, die Übersetzerin Silvia Morawetz, mit der Hilbig während seiner Leipziger Zeit zusammenlebte oder der Rundfunkjournalist und schließlich entscheidende Förderer Hilbigs, Karl Corino – jeder erinnert sich an die erste Begegnung mit Hilbig. Ein Mensch, der so exzessiv das Schreiben zelebrierte, ja, gar nicht anders konnte und nach außen zwar nicht unfreundlich, eher kumpelhaft, dennoch aber sehr scheu und verschlossen wirkte. Klopfte es an der Tür, sei Hilbig jedes Mal entsetzt gewesen, erzählt Hilbigs langjährige letzte Lebensgefährtin, die Schriftstellerin Natascha Wodin, die zudem die sehr bezeichnende Aussage macht: „Hilbig wollte nicht leben, er wollte nur schreiben“.
So wechseln die Beschreibungen der Freunde sich ab, ergänzen sich, werden hie und da anekdotisch aufgefrischt und immer wieder bildstark unterbrochen, oft von verwackelten Kamerafahrten entlang maroder Hausfassaden oder an leeren Seitenstraßen vorbei. Meuselwitz, eine ehemalige Industriestadt, wo die Zeit stehengeblieben scheint. Wo „es ist als ob ich wiederkommen sollte / und etwas auch als wollt es mich vertreiben“, wie Hilbig in seinem Gedicht „fragwürdige rückkehr (altes kesselhaus)“ schreibt. Und erst diese Lyrik und Prosa Hilbigs verleihen dem Film seinen Zauber, wenn man den Worten nachlauscht und sich dabei vollends seiner Stimmung überlässt. Dass die Schauspielerin Corinna Harfouch an diesem Abend, sowohl eingangs auf der Lesebühne als auch im Film selber, Hilbigs Texten ihre Stimme leiht, ist schließlich Siegfried Ressel zu verdanken, für den Hilbig kein typisch männlicher Autor ist und der sich deshalb eine markante weibliche Interpretin gewünscht hatte. Eine treffliche Wahl, wie der Applaus beweist. Doch darf man davon ausgehen, dass Ressel auch sie nicht groß zur Mitarbeit überreden musste. Für jeden, der mit diesem Filmprojekt zu tun hatte, so Ressel, sei der Name Hilbig wie eine Verpflichtung gewesen, fast so als erledige man da eine Arbeit für Hilbig selbst. Daniel Flügel
„Hilbig. Eine Erinnerung“ ist am kommenden Samstag, dem 27. August, um 23.05 Uhr bei 3sat zu sehen
Daniel Flügel
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