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Begegnungen. Fünf Bewohner bevölkern die Gemeinschaftswohnung.

© T-Werk

Kultur: Das Leben ist doch schön

Die Jugendtheaterproduktion „Heldenhaft“ hatte am Samstagabend im T-Werk Premiere

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Akkurat gezirkelt ist diese Leningrader Zwangswohngemeinschaft mit ihren Zimmern, der Küche und einer Toilette, die gemeinschaftlich genutzt werden. So beengt und immer wieder öffentlich, dass man, um nebeneinander zu funktionieren, wortwörtlich seine Wege einhalten muss. Und so herrscht, schon als die Zuschauer der Jugendtheaterproduktion „Heldenhaft“ sich ihre Plätze suchen, auf der Bühne ein reges Treiben. Premiere war am Samstagabend im T-Werk.

Das Bühnenbild, das vor allem aus einer zentral aufgebauten Wohn- und Schlafraumszene und einem rundherum angelegten Parcour aus Türöffnungen und am Boden aufgezeigten Laufwegen besteht, unterstützt die einerseits so verwirrend geschäftige, andererseits so wohlgeordnete erste Szene. Die insgesamt fünf Bewohner der Wohngemeinschaft bereiten sich darin auf das abendliche Zubettgehen vor, begegnen sich in der Küche oder warten vor der gemeinsamen Toilette.

Dann legt sich der Schlaf über alle, es wird dunkel im Saal und Johnny Eugen Rautenberg in der Rolle des Erzählers Viktor Viktorowitsch lässt den Zuschauer in die Geschichte einsteigen. Regisseurin Suse Weise, die jetzt ein Jahr das Kinder- und Jugendtheater im T-Werk anleitet, verarbeitet in ihrem Stück „Heldenhaft“, dessen Titel übrigens gleichzeitig der Titel des Jugendworkshops ist, den sie im vergangenen November ins Leben gerufen hat, Szenen und Sequenzen aus Nikolai Erdmans 1932 uraufgeführtem Stück „Der Selbstmörder“. Damit hat sie sich eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt, ist das Stück doch nicht nur in einer politisch heißen Phase, sondern auch in der Tradition des „Theater des Absurden“ entstanden.

Der satirische Unterton macht die Inszenierung natürlich erst einmal leicht. Der arbeitslose Semjon Semjonowitsch (Luc Schneider) belästigt seine Frau Maria (Yvonne Roscher) mitten in der Nacht mit seinem Gelüst nach einem Ende Wurst. Die konsternierte Ehefrau rennt schließlich, exakt den Laufwegen folgend, in die Gemeinschaftsküche und erfüllt den Wunsch des Ehemannes, indem sie ihm das gewünschte Wurstbrot bringt. Der durch die selbst empfundene Nutzlosigkeit stark demoralisierte Mann bricht einen Streit vom Zaun, randaliert und weckt Schwiegermutter Serafima (Luise Fuhr). Die übertrieben komisch gezeichnete, plump-naive Frau kriecht schließlich auf den Boden, um nach der im Streit verschwundenen Kerze und dem plötzlich ebenso verschwundenen Schwiegersohn zu suchen.

Das provoziert bei dem überwiegend jugendlichen Publikum sofort erheitertes Gelächter, dem sich, und das des Öfteren, auch die Darsteller selbst nicht entziehen können. Das Lachen verebbt auch erst einmal nicht, denn Maria vermutet das Schlimmste. Semjon, in diesem „Zustand“, vielleicht auf die Straße gerannt, vielleicht in der Toilette eingeschlossen, vielleicht bereits tot! Auf der Bühne ein wildes Gerenne und Geschubse, die Nachbarn, Alexander und Margarita (Christian Driemel und Elisabeth Braganz), sind ebenfalls erwacht und der Gesuchte gibt lange kein Zeichen. Diese Szene in ihrer Groteske gerät vielleicht ein wenig zu lang.

Dabei wollte Semjon sich gar nicht selbst töten. Doch die Idee pflanzt sich in seinen Kopf und wird zum Thema des Abends. Und hier wird es dann surreal. Plötzlich gibt es Interessenten an seinem Tod, soll der Arbeitslose sich im Namen von Intelligenzia, dem Marxismus, dem Glauben oder der Liebe ins Jenseits befördern. Die vier personalisierten Elemente umkreisen und beschwören ihn, verbrüdern sich in einem wilden Saufgelage und beschimpfen das Ziel ihrer Hoffnungen, als dieses sich dem Selbstmord entzieht. Semjon nämlich entdeckt für sich, dass er leben will. Das Leben ist doch schön! So zumindest hat er es in der Zeitung gelesen. Andrea Schneider

Andrea Schneider

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