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Kultur: Das Leben ist ein Praktikum

Nikola Richters schriftstellerisches Debüt im Studentenkulturzentrum KUZE

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Eine doppelte Premiere verspricht die Lektorin vom renommierten Fischer Verlag den zwanzig Zuhörern im Theatersaal des studentischen Kulturzentrums. Die Jungautorin Nikola Richter, Jahrgang 1976, ist angetreten zu ihrer ersten Lesung aus „Die Lebenspraktikanten“, einer Sammlung „erlebter Geschichten“ über sieben junge Erwachsene auf ihrem Weg zum Traumjob. Den gibt es demnach heutzutage erst nach unzähligen, meist unbezahlt absolvierten Praktika.

Gleichzeitig ist das Buch auch der Beginn einer neuen Sachbuchreihe des Verlags mit dem hübschen neudeutschen Namen „Factory“. „Eigenwillig, anders, schräg“, sagt die Lektorin, sollen die Bücher sein, und meint wohl auch das von Nikola Richter. „Faction“ steht im Hintergrund, eine Mischung aus Tatsachen (fact) und Erfundenem (fiction). Ein neuer Genrebegriff ist nötig, weil Richters Figuren, Linn, Jasmin, Viktor und Guilia erfunden sind und für verschiedene „Strategien“ stehen. Auch das, was sie in den Büros und unter den Bettdecken ihrer Wochenendfreunde erleben, ist, wenn nicht erdacht, so doch aus einer Collage gesammelter Eindrücke komponiert. Richters eigener Leidensweg: 15 Monate Praktikum in neun verschiedenen Stationen. Nun schreibt sie Gedichte, Theaterstücke und hat ein online-Literaturmagazin (www.schriftstelle.de) herausgegeben.

Alle Figuren stehen kurz vor dem Erwachsenwerden. Sie besitzen einen Hochschulabschluss, sind hochqualifiziert und warten darauf, dass ihr Leben beginnt. „Flaundering period“ haben das Soziologen genannt, die Zeit im Leben, in der man zwischen den Möglichkeiten hin und her zappelt wie eine Flunder.

Und nach allem, was Richter vorliest, versteht sie unter „richtigem“ Erwachsenenleben anscheinend ausschließlich eines in Festanstellung. Nicht mehr ganz unten in der Hierarchie zu sein, nicht mehr unbezahlte Sklavenaufgaben zu erledigen, sondern endlich selbst Praktikanten beschäftigen zu dürfen, so lautet der Traum.

Nur der Lebenskünstler Nils weigert sich aus Prinzip, auf das Praktikantenkarussell aufzuspringen. Die durch ihn repräsentierte Alternative ist allerdings auch nicht wirklich anders: er möchte als Existenzgründer in die Businesswelt einsteigen.

Die Lebenspraktikanten kämpfen mit allen Mitteln um diese Eintrittskarte ins Glück. Dafür frisieren sie Lebensläufe, drucken sich sieben verschiedene Visitenkarten für jede Situation und knüpfen wie die Profis Netzwerke. Für die erste Stelle hoffen sie, sich auf einem abendlichen Empfang dem Generalsekretär empfehlen zu können. Sie fühlen sich ungerecht behandelt und fantasieren dann darüber, eine Praktikantenpartei für die vielen Entrechteten zu gründen. „Brötchengutscheine“ würde von ihr verteilt werden, weil Praktikanten ja nie Zeit haben, in Ruhe in die Mittagspause zu gehen.

Zu wenig pointiert und literarisch, um als unterhaltsame deutsche Version einer Berufstätigen-Soap durchzugehen, ist Richters Text doch wiederum zu subjektiv, um, wie von einem Sachbuch zu erwarten, einen harten Erkenntnisgewinn zu vermitteln. Die Figuren wirken weich und weinerlich. Müssten sie, die wie die Autorin selbst einen Abschluss in Geisteswissenschaften besitzen, nicht eigentlich langsam wissen, dass „da draußen“ für sie keine vorgefertigten und passgenauen Jobs warten? Praktika gehören daher zu dieser Wahl des Lebensweges dazu.

Dass zu einem jedem ungerechten Verhältnis immer einer gehören muss, der bereit ist, einzuwilligen, und dass ein System vielleicht gerade deswegen so verkommen wirkt, weil es viel zu viele dieser Willfährigen gibt, die sich nichts lieber wünschen, als sich reibungslos einordnen zu lassen, auch davon erzählt Richters Buch natürlich nicht. Wohl aber beschreibt es ganz akkurat die gegenwärtige Lebensweise, die Wünsche und Ängste junger Menschen um die 30 Jahre. Matthias Hassenpflug

Nikola Richter, Die Lebenspraktikanten, Fischer Verlag, 2006, 8 €

Matthias Hassenpflug

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