
© HL Böhme
Kultur: Das Leben ist mehr als genug
Wenn die Welt zerbricht: Christoph Hohmann als Mendel Singer in „Hiob“ / Premiere am Donnerstag
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„Jeden Morgen dankte Mendel Gott für den Schlaf, für das Erwachen und den anbrechenden Tag. Wenn die Sonne unterging, betete er noch einmal. Wenn die ersten Sterne aufsprühten, betete er zum dritten Mal. Und bevor er sich schlafen legte, flüsterte er ein eiliges Gebet mit müden, aber eifrigen Lippen. Sein Schlaf war traumlos. Sein Gewissen war rein. Seine Seele war keusch. Er brauchte nichts zu bereuen, und nichts gab es, was er begehrt hätte“, schrieb Joseph Roth über Mendel Singer auf der ersten Seite seines Romans „Hiob“. Und schon der Titel ist Andeutung genug, dass dieser Mendel Singer, „fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude“, wie Hiob im Alten Testament ins Unglück stürzen wird. Doch ist bei Joseph Roth nicht der Teufel im Spiel, der mit Gottes Erlaubnis versucht, durch Schicksalsschläge und Leiden Hiob vom Glauben abzubringen. Mendel Singer ist nur einer von so vielen im Mahlstrom des Lebens, dem die Zeit und die Veränderungen zusetzen. Mendel Singer erduldet, denn er hat seinen Glauben. Doch was dem Teufel mit all seinen perfiden Spielchen bei Hiob nicht gelang, in seiner Gleichgültigkeit ist der Verlauf des Lebens da schon viel fantasievoller und vor allem grausamer.
„Mendel Singer ist ein Ausgesetzter, ein zu spät Handelnder, der trotz seiner Fehlbarkeiten sympathisch bleibt“, sagt Christoph Hohmann. Am morgigen Donnerstag ist Hohmann in der Rolle des Mendel Singer auf der Bühne in der Reithalle zu erleben. Regisseur Michael Talke, der mit „Hiob“ sein Debüt am Hans Otto Theater gibt, hat sich dabei für die Textfassung von Koen Tachelet entschieden. Eine Fassung, in der jedes Wort Gewicht hat und die im Vergleich zu Roths Roman wie ein Skelett wirkt. Reduziert auf das Wesentliche. Das Fleisch, das Blut, die Gefühle und den Schmerz, all das müssen jetzt die Schauspieler liefern. Und man glaubt Christoph Hohmann, der sich zwischen den Proben Zeit für ein Gespräch genommen hat, die Anstrengungen anzusehen, die von den Schauspielern während der Proben abverlangt werden.
Doch Hohmann, der zuletzt in „Wellen“ und „Das Wintermärchen“ zu sehen war, spricht nicht von Anstrengung. Er, der auf der Bühne eher durch eine beiläufige Präsenz besticht, der keine großen Gesten braucht, sondern mit den Feinheiten spielt und so ganz groß sein kann, spricht von der Intensität des Textes und der Intensität der sechs Probenwochen. „Es gibt hier keine Sätze wie: Komm mal her! oder: Lass uns hierhin gehen!“, sagt Hohmann. Keine Sätze, die wie eine Pause wirken, die wie Einleitung zum Eigentlichen sind. Keine Sätze, in denen man sich ausruhen kann. „Kein Palaver“, wie Hohmann sagt. Sprechen Joseph Roths Figuren wie Mendel, sein Frau Deborah, seine Söhne Jonas und Schermarjah oder seine Mirjam in der Textfassung von Koen Tachelet, ist alles sofort da. Das Leben als eine einzige Prüfung, die für Mendel Singer allein darin besteht, seinen Glauben zu testen. In dieser Hinsicht wirkt Mendel Singer, der einfache Bibellehrer aus dem russischen Schtetl Zuchnow, am Anfang unerschütterlich.
Mendel Singer wird einen Sohn verlieren und seine Frau. Er wird die Heimat verlassen und wie ein Entwurzelter in Amerika leben. Er wird seine Tochter am Wahnsinn verlieren und lange glauben, dass auch sein ältester Sohn und sein dritter, der Krüppel Menuchim, längst tot sind. Mendel Singer wird an den Punkt kommen, an dem er Gott verflucht, sich jedoch nicht vollends von ihm lossagt. Und wie Hiob wird Mendel Singer zumindest teilweise Erlösung erfahren.
„Er ist ein Konservativer, der etwas bewahren, erhalten will“, sagt Hohmann. Wie sein Vater und auch schon sein Großvater ist Mendel Singer Bibellehrer geworden und so einer Tradition gefolgt, die kein Hinterfragen duldet. Doch die Welt im ausgehenden 19. Jahrhundert verändert sich, große Umbrüche deuten sich an. Aber Mendel Singer sieht das nicht. „Er merkt gar nicht, wie dünn das Eis ist“, so Hohmann. Er hat Gott. Und an diesen glaubt er. Für Christoph Hohmann ist dieser Glaube eine der stärksten Charakterzüge dieses Mendel Singers. Als Singers Frau Deborah für den kranken Sohn Menuchim ein Wunder erhofft und sogar den Rabbi um einen entsprechenden Hinweis bemüht, kann er nur den Kopf schütteln. Denn Wunder gibt es von Gott nicht. Ist es sein Wille, dann kann Menuchim gesund werden. „Glaube ist für Mendel Singer kein Geschäft nach dem Motto: Gib mir ein Wunder und ich glaube“, sagt Hohmann. Ein bedingungsloser, ein so tief ehrlicher Glaube, das ist es, was diesen stillen Mann auszeichnet.
Beim Lesen von Roths Roman ist Hohmann tief eingetaucht in dessen Sprache. Eine Sprache, die manchmal nach einem Märchen klingt, oft aber so klar, erhaben und kraftvoll wie die Bibel. Dieser Roman „Hiob“ ist ein Sprachkunstwerk. Doch Christoph Hohmann hat das nicht abgeschreckt. „Beim Lesen lief da sofort ein Film in meinem Kopf. Alle meinen Sensoren waren an und ich überlegte, wie dieser auf der Bühne zu spielen wäre.“ Denn in dieser Lebensgeschichte findet sich das Urtheaterprinzip. Ein Mensch erfährt Tiefschläge, leidet, alles stellvertretend für den, der das Buch liest oder das Theaterstück sieht. Und am Ende gibt es eine Art Erlösung, die bei Roth die Züge eines Märchens annehmen.
Christoph Hohmann sieht das nicht als Schwäche des Romans an, wie es immer wieder in der Literaturkritik angemerkt wurde und wird. Mendel Singer, der seinen Glauben an Gott verloren hat, den Glauben, der ihm so viel Halt gegeben hatte, musste nun lernen, allein unter den Menschen zu leben. Hohmann benutzt als Bild dafür den überfüllten Bahnhof Friedrichstraße. Wäre Mendel Singer einer dieser unzähligen Menschen, würden wir ihn schnell im Gewühl auf der Rolltreppe aus den Augen verlieren. Aber dann passiert Mendel Singer, was einem Wunder gleicht. Ihm, der daran nie glauben wollte. „Hier hat das Theater alle Freiheit“, sagt Hohmann. Hier ist alles möglich. Auch dass Mendel Singer dieses so versöhnliche Ende vielleicht nur träumt. Für welche Interpretation Regisseur Michael Talke sich entschieden hat, das wollte Christoph Hohmann nicht verraten.
Premiere von „Hiob“ am morgigen Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Reithalle, Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 11 8
Dirk Becker
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