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Kultur: Das Leben ist wie Kautabak

„Merkt ihr nischt?“: Kurt-Tucholsky-Abend auf dem Theaterschiff

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Dem guten alten „Tucho“ geht es wie Jesus Christus, Goethe oder Harald Schmidt. Deren Texte und Zitate gelten zu jeder Zeit als „verblüffend aktuell“ und müssen deswegen für vieles herhalten. „Was hätte Kurt Tucholsky nur dazu gesagt?“ Auf dem Theaterschiff wurde diese notorische Frage dieser Tage einen ganzen Abend lang gestellt.

Die gut achtzigjährigen Texte des scharfzüngigsten Journalisten und Satirikers der Weimarer Zeit hielten dieser Beanspruchung stand, obwohl sie von den beiden Interpreten Peter Wohlfeil und Frank-Burkhard Habel mit den derzeitigen Energiepreisen, mit übermäßiger Steuerverschwendung und sogar mit der großen Koalition in Berührung gebracht wurden. Das spricht sowohl für die Kunstfertigkeit des Dichters, als auch für die werkgetreue, unpompöse Darbietung. Wohlfeil und Habel sind beide stimmlich fern von dem, was man Sänger nennt, aber gerade ihr halbes Sprechen, ein ernsthaftes Bemühen um den richtigen Ton, lässt eine Aufrichtigkeit erklingen, die sehr schön mit den moralisch-kritischen Texten Tucholskys harmoniert. Hinzu kommt die unauffällige und präzise musikalische Begleitung am Piano durch Christian Kozik. Auch hier will nichts überstrahlen, die Musik ist ganz Vehikel des Wortes. Zurückhaltend bereitet er die Kompositionen von Hanns Eisler so vor, dass Wohlfeil und Habel sich allzeit sicher fühlen können.

Das Publikum, das den Schiffsbauch nicht gänzlich ausfüllte, ist durch die das launig entspannte Auftreten der recht unterschiedlichen Typen Wohlfeil und Habel froh gestimmt. Der erste ein Schauspieler, der auf seine untersetzte Figur im über die Brust gespannten faltergelben Hemd mit Ironie blickt, der andere – Scheitel, grauer Anzug und Fliege – wirkt seiner Position im Vorstand der Tucholsky Gesellschaft gemäß eher bieder und sachwaltend. Wenn Habel, eigentlich Autor von Büchern über die „Olsenbande“, den Betrunkenen mimt und dabei die Arme hochwerfend „Schnätterätäng, Schnätterätäng im Refrain“ aus einem Lied über die Leichtgläubigkeit des Volkes singt, fordert ihn dies sichtbar Überwindung. Lieber als an der Seite von Wohlfeil Duett zu singen, sind ihm die gelesenen Bonmots und Informationen. Neben dem sattsam Bekannten (Jurastudium, Journalist für die Weltbühne, bestbezahlter Satiriker seiner Zeit, schrieb unter diversen Pseudonymen wie Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser oder Theobald Tiger, Liebhaber der Frauen) erfuhr man von Habel, u.a. dass der Gifttod Tucholskys 1935 in Schweden nicht eindeutig geklärt werden konnte. Selbstmord, Unfall oder gezielte Vergiftung durch Nazis?

Und wo bleibt die gepriesene Aktualität? Dass das Leben wie Kautabak ist, erfährt der Zuhörer, der sich nicht lange bitten lassen muss, um in den Refrain mit den Worten „von der Firma Eckenbrecht in Kiel“ einzustimmen. Man muss es kauen wie ein Priem, „mal schmeckt es bitter, mal schmeckt es süß“. Was wusste Tucholsky über unsere Konsumgesellschaft? Im Gedicht "Das Ideal" sagt er: „Hast Du die Geisha, stört dich der Fächer“. Jedes Glück hätte einen Stich.

Ob es wirklich immer noch stimmt, das Bild des Deutschen als Beamtenseele, über die Tucholsky befunden hat: „Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehen. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen“? Satiriker unterscheiden sich von Dichtern. Sie bevorzugen immer das witzigere und frechere Wort vor dem schöneren. Dazu nehmen sie in Kauf, dass sie an Zeitlosigkeit einbüßen.

„Merkt ihr nischt?“ ist eine sympathische Hommage an Kurt Tucholsky, der Dichter genug war, um heute noch bestehen zu können. Wohlfeil, Habel und Kozik finden eine unterhaltsame Balance zwischen ehrenvoller, am original orientierter Darstellung und humoristischer Interpretation, die sogar soweit geht, eigene Texte einzuschmuggeln. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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