Kultur: Das Leben und seine Strategien
Brasch, von Düffel und Sparschuh bei „lit:potsdam“
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Wie es geht, wenn das Leben zu eng wird, zu einsam oder aller Gewissheiten beraubt? Davon erzählten Marion Brasch, John von Düffel und Jens Sparschuh am letzten Tag des 2. Literaturfestivals „lit:potsdam“. Zur Veranstaltung „Über Lebensstrategien“ waren am Sonntagnachmittag rund 100 Zuhörer in das Waschhaus in der Schiffbauergasse gekommen. Dass gleich drei Autoren präsentiert wurden, passte zum kämpferischen Beiklang des Titels, auch wenn sie alle friedlich vereint nebeneinander auf der Bühne saßen. Nicht zuletzt der Vergleich ihrer so unterschiedlichen Texte machte einen großen Teil des Reizes aus.
In seinen in diesem Jahr erschienenen „Wassererzählungen“ variiert John von Düffel einmal mehr sein Lebensthema Wasser, für ihn „das Element der Verwandlung“ schlechthin. Er bekennt sogar, dass er in Potsdam wohnt, weil es eine Wasserstadt ist. Die Magie des Wassers spielt indessen nur eine indirekte Rolle in der Erzählung „Der Fetzenfisch“, die von Düffel konzentriert vorliest. Der Monolog einer ebenso angepassten wie zerrissenen Karrierefrau und Familienmutter vor dem Aquarium zieht die Zuhörer in den Bann. Immer wieder leuchten originelle Wörter und überraschende Wendungen wie Lichtreflexe aus der schnell fließenden, glasklaren Prosasprache auf bis hin zum ebenso überraschenden wie offenen Ende. „Je länger ich als Schreiber unterwegs bin, desto mehr komme ich dazu, die Dinge zu finden, statt sie zu erfinden“, sagt von Düffel im Gespräch mit der Moderatorin Christine Thalmann.
Völlig andersartig ist das literarische Verfahren im neuen Roman von Marion Brasch. Nach dem großen Erfolg ihres ersten Buchs „Ab jetzt ist Ruhe“ über ihre Familie erzählt sie in „Wunderlich fährt nach Norden“ von einem Mann, der nach einer Trennung zu einer Reise ins Ungewisse aufbricht. Die jüngste Tochter und einzige Überlebende der Brasch-Familie – der Vater war stellvertretender Kulturminister in der DDR, der älteste Bruder Thomas Schriftsteller, der schon 1977 nach Westberlin ging – schreibt aus der Position des allwissenden Erzählers und liest mit dramatisch geübter Stimme. Der Name des Protagonisten ist Programm: Viele märchenhafte und fantastische Dinge ereignen sich. Ein Mobiltelefon versendet selbstständig Kurzmitteilungen und wird zum Gesprächspartner der unglücklichen Hauptfigur. Indessen hat sich Wunderlich bei allem Selbstmitleid doch recht komfortabel in seiner Durchschnittlichkeit eingerichtet, sagt Brasch, die sich im Gespräch zur lateinamerikanischen Erzähltradition des Magischen Realismus bekennt.
Auch Jens Sparschuh, Verfasser des erfolgreichen Wenderomans „Der Zimmerspringbrunnen“, liest aus seinem neuen Roman „Ende der Sommerzeit“, und das kommt, wie auch bei Brasch, naturgemäß nicht so prägnant daher wie eine abgeschlossene Kurzgeschichte. Auslöser ist der russisch-amerikanische Romancier Vladimir Nabokov und sein einstiges kleines Grundstück im Berliner Umland, das in Nabokovs Roman „Verzweiflung“ eine gewisse Rolle spielt. Der Schauplatz ist ein Seminarraum an einer amerikanischen Universität, wo ein Nabokov-Experte zu zwei Zuhörern, darunter der Ich-Erzähler, spricht. Dabei entfaltet Sparschuh ein subtiles Vexierspiel aus feinen Beobachtungen, leisen ironischen Bemerkungen und zwischen Leben und Literatur changierenden Assoziationen. Die Suchbewegungen kommen dabei vom Herzen her, wie Sparschuh sagt, und sie führen zu unerwarteten Ergebnissen.
Sogar die Frage nach dem Sinn der Literatur wurde abschließend beantwortet. Ein richtiger Roman sei Lebenshilfe und Lebensmittel für den Autor, hieß es von Jens Sparschuh und Marion Brasch, aber mehr noch, er könne eine Steigerung des Lebens an sich sein, erklärte John von Düffel: Denn Bücher füllen den missing link zu einem selbst, wenn der Leser sein Leben auf einmal in der Geschichte wiederfindet. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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