Kultur: Das Mädchen und ihr Meister Karo und Hans Unstern
begeistern im Waschhaus
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Der Saal imWaschhaus schon wieder nur mäßig gefüllt und auf der Bühne ein Mädchen, das nicht älter als 20 sein kann und irgendwie verloren wirkt. Doch der allererste, zugegeben etwas skeptische Eindruck wird sofort Lügen gestraft, als Karo, die den Hauptgast an diesem Sonntagabend, Hans Unstern, supportet, anfängt zu singen.
In diesem unscheinbaren Mädchen, das sich selbst auf der Gitarre begleitet, eine Loopmaschine zu ihren Füßen, steckt eine Stimme, so unangestrengt klar und warm, dass einem der Mund offen stehen bleibt. Keine künstlichen Seufzer, Kickser oder Souleinschläge. Ein tolles Englisch, trotz der deutschen Muttersprache. Melancholie, trotzdem Kraft, und eine reduzierte, aber sehr sympathische Körpersprache.
Man möchte immer mehr hören und ihr zurufen, dass sie das Publikum nicht um gecoverte Wunschsongs bitten muss. Ganz Profi kann sie nämlich auf die vier Akkorde von „Wonderwall“, einem Hit von Oasis, auch „Last Christmas“ oder „Dancing Queen“ spielen und singen.
Aber die, die der Regen nicht abschrecken konnte, und die die Stühle vor der Bühne des Waschhaussaals besetzen, wollen mehr von Karo und bekommen neben „The Sailor“ auch „Sing out, heart“, das so leise anfängt und so kraftvoll endet. Vielleicht hat sie ja bereits von Hans Unstern, seinerseits Straßenmusiker, den sie auf dessen aktueller Tour begleitet, das ein oder andere lernen können. Auf seinem im April erschienenen Album „Kratz dich raus“ explodiert in jedem Fall ein kreativer Kopf in Chaos und künstlerischer Vielfalt und macht neugierig auf das Liveerlebnis.
Bereits die Umbaupause mutet surreal an. Ähnlich einer Performance verschwinden nach und nach die Musiker hinter einer Tür nahe der Bühne. Diese ist durch einen Gazevorhang in zwei Teile getrennt und plötzlich erscheint der Berliner Hans Unstern mit Gitarre in der Hand und Harmonika vorm Mund vor diesem Vorhang. Ein Spot beleuchtet ihn und er spielt „Tief unter der Elbe“, lässt „Kratz dich raus“ hineinfließen, wird zum Lebendobjekt einer Livevideosequenz und lässt plötzlich den Vorhang fallen. Dahinter seine Band mit einer Vielzahl an Instrumenten. Kontrabass, Akkordeon, Trommeln, Schlagzeug, Saxophon und ein überdimensioniert anmutendes Xylophon erzeugen ein Klopfen, Schaben, Klappern und Ächzen, dass es eine Freude ist. Dazwischen der schmale, auch in seiner Äußerlichkeit unkonventionelle Hans Unstern, dessen Songs von Freiheit in Text und Reim leben. Rezitativ, auch als Sprechgesang lässt er sie in den Raum und die Musiker greifen sie auf und spielen mit ihnen. Und man möchte mit ihm „zum Klick und Klack des Kaugummiautomaten tanzen“.
Das alles ist ein Gesamtkunstwerk, das sich nicht Konzert, nicht Performace, nicht Lesung oder Theaterstück nennen kann, weil es von allem etwas hat. Der Auftritt von Hans Unstern und seiner Band ist ein einstündiges, pausenloses Fest für die Sinne, von dem man geglaubt hatte, dass es das gar nicht mehr gibt, weil man es so selten erlebt. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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