
© Ellen Wölk
Waschhaus Potsdam: Das Märchen vom süßen Klangbrei
Die „Pocket Symphonies“ des Komponisten Sven Helbig hatten im Waschhaus Premiere
Stand:
Flink klettert ein dunkel gekleideter Mann mit wuscheligem Haardutt eine hohe Stange hinauf und hängt sich hoch oben zusammengefaltet wie eine Fledermaus hin. Da sieht er, wie ein weibliches Wesen am Rand der Bühne erscheint. Lange, sehnsüchtige Blicke sendet er ihm nach, bis es ihn nicht länger in der unbequemen Position hält und er schnell wieder den Boden erreicht. Mit dem Lagenwechsel ändert sich auch die Musik, von schmachtend aufgetürmten Geigenklängen geht es in flotterem Rhythmus mit Glockenspiel und Sologeige über.
Im Potsdamer Waschhaus spielen die Streicher der Kammerakademie Potsdam die Pocket Symphonies von Sven Helbig. Der Komponist leitet die Aufführung und setzt an diversen Schlaginstrumenten kleine Akzente. Seine Pocket Symphonies, die im letzten Jahr bei der Deutschen Grammophon erschienen sind, bestehen aus zwölf kurzen Stücken. Jedes basiert auf einer simplen musikalischen Formel in eingängiger tonaler Musiksprache mit einem unüberhörbaren Zug ins Bombastische und Plüschige. Es könnte Filmmusik zu einem B-Picture sein, manch ein pianistisch garniertes Stück erinnert an die erfolgreichen Werke von Ludovico Einaudi. Man könnte auch von Historismus sprechen, denn es gibt nichts Neues zu hören, sondern bloß Aufgewärmtes, ein bisschen Wagner hier, ein wenig Serielles dort, eine ostinate Basslinie dort. Klänge, die zu Klischees erstarrt sind. Wer Sven Helbig bei der TED-Konferenz in Berlin sprechen gehört hat, lernt, dass er die beste Werbung für seine Musik selber macht. Es geht ihm um die Auflösung der Grenzen in der Musik, die Wörter klassische Musik, Popmusik und Crossover sollen am besten gelöscht werden. Nun ja, dann verschwänden aber auch all die mühsam erarbeiteten Kategorien der Unterscheidung, oder modern gesagt, der Diversität, und übrig bliebe ein grauer Einheitsbrei. Dabei ist eine Symphonie etwas anderes als ein dreiminütiges Stückchen mit dicker Streichersoße und je nachdem süßlichen oder herben Solo-Passagen von Violine, Bratsche oder Cello so wie hier. Das weiß auch der clevere Komponist aus Eisenhüttenstadt, dessen Masseninszenierungen für verschiedene Anlässe in London, Dresden oder beim Evangelischen Kirchentag große Aufmerksamkeit hervorriefen.
Das Tanzspiel, das die Potsdamer Choreografin Anja Kozik zu Helbigs Pocket Symphonies kreierte, trägt zwar keinen Titel, doch auch so wird die nicht gerade unkonventionelle Geschichte leicht verständlich: Mann trifft Weib, dann taucht eine zweite Frau auf, sie tanzen allein, zu zweit, zu dritt, sie kämpfen und sie küssen sich, sie wirbeln miteinander, umeinander und übereinander. Die drei Tänzer der Oxymoron Dance Company legen viel Energie hinein und setzen ein Dauerlächeln auf. Raha Nejad gibt die erste Frau mit verlockenden Bewegungen, während Luana Rossetti die Nebenbuhlerin ist, die auch mal auf der Spitze tanzt. Beide dürfen je einen leidenschaftlichen Pas de deux mit dem Herrn der Schöpfung tanzen. Dass er es auch mit zwei Frauen aufnehmen kann, nimmt man Alessandro di Sazio und seiner kraftvollen Darstellung ab. Wenn er geschmeidig an der Polestange klettert und ganz oben seine Glieder in der Horizontalen zum Takt der Musik ausstreckt, bringt das ein wenig Zirkusflair in die Aufführung. Doch sonst überwiegt der Eindruck biederer Kunstanstrengung, scheint mehr Pflicht als Kür auf. Großer Beifall belohnt den engagierten Einsatz der Mitwirkenden zum Finale. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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