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Kultur: „Das Missmutige war doch typisch für diese Stadt“

Jürgen Strauss über seine fotografischen Entdeckungsreisen durch das Potsdam der 80er-Jahre. Künstlergespräch am heutigen Donnerstag

Stand:

Herr Strauss, warum haben Sie sich ausgerechnet in den 80er-Jahren aufgemacht, Potsdam fotografisch zu entdecken?

Ich war ab 1984 freiberuflich tätig und hatte dadurch die Möglichkeit, mit meiner Zeit sinnvoll planend umzugehen. Das habe ich dann auch getan. Denn ich wollte die Stadt, in der ich lebe, etwas stärker erkunden. Ich kannte hier zwar viele Menschen, aber nicht allzu viele. Und mir war wichtig, festzuhalten, wie das Leben in dieser Stadt abläuft.

Wie lange hat diese fotografische Entdeckungsreise durch Potsdam gedauert, von der derzeit 60 Bilder im Potsdam Museum zu sehen sind?

Im Grunde waren das schon vier Jahre, von 1984 bis 87. Danach hatte ich durch Aufträge doch mehr zu tun, sodass mir die Zeit fehlte.

Wie sind Sie bei Ihren Streifzügen durch Potsdam vorgegangen?

Ich habe mir die Stadtteile systematisch erlaufen und mir immer wieder auch Stein für Stein die Architektur angesehen. Und als aufmerksamer Beobachter, der ich bin, versuchte ich dabei die Menschen zu ersehen, ihnen anzusehen, wie sie leben, wie sie vielleicht auch denken. Daher ist es auch ein fotografisches Grundprinzip von mir, den Menschen, denen ich begegne, intensiver auf die Hände zu schauen, auf das, was sie machen.

Das heißt, dass Sie als beobachtender Fotograf oft auch ein Wartender waren?

Ja, so lange zu warten, bis das Finale der Handlung auf einen zukommt. Dieser bestimmte Moment, der ein Bild erst zu einem Bild macht.

Sind Sie bei Ihren Streifzügen mit den Menschen auch ins Gespräch gekommen?

Sogar sehr oft. Denn da war ja bei den Menschen auch eine gewisse Neugierde. Die haben gesehen, dass ich da fotografiere, ein Bild mache, auf dem sie möglicherweise zu sehen sind. Da wollten die auch wissen, warum ich das mache. Dann habe ich den Menschen das Gleiche wie in diesem Gespräch erzählt: dass mich die Stadt interessiert und dass ich diese Stadt auch dokumentieren will. Was aus diesen Bildern mal wird, konnte ich damals noch nicht sagen, aber im Hinterkopf hatte ich immer die Idee, daraus eine Ausstellung oder ein Buch zu machen.

Betrachtet man die Menschen, vor allem die Erwachsenen auf den Bildern in der Ausstellung, sind fast nur ernste und verschlossene Gesichter zu sehen. Ist Ihnen beim Fotografieren nicht auch viel Misstrauen entgegengebracht worden?

Ja, natürlich. Da gibt es dieses Bild mit der älteren Dame vor dem Intershop. Die hat natürlich gedacht, dass ich dastehe und aufpasse, wer da alles in den Intershop geht. Von ihr kamen dann auch ein paar abweisende, sehr unfreundliche Worte. Aber das kann ich ihr nicht verübeln, denn sie hat wahrscheinlich gedacht, ich sei ein Beobachter der Macht. Diesem Verdacht war ich oft ausgesetzt. Vor allem, wenn Menschen in irgendeiner Gesellschaft zusammen gewesen sind. Das muss nicht unbedingt eine Feier gewesen sein, sondern Situationen, in denen sie sich plötzlich beobachtet fühlten und das Gefühl hatten, sie könnten etwas falsch machen. Das hat sich dann aber immer aufgeklärt, weil ich nach den Aufnahmen mit den Menschen ins Gespräch gekommen bin.

Was waren das für Situationen?

Wenn ich beispielsweise neugierig geworden durch die Architektur auf einen Hinterhof getreten bin, auf dem Leute zusammengesessen, Bier getrunken oder vielleicht sogar gefeiert haben. Dann habe ich das natürlich gleich festgehalten und mich erst danach erklärt. Aber dieses Missmutige, das auf vielen der Bilder zu sehen ist, das ist doch typisch für diese Stadt. In der Zeit auf alle Fälle. Vielleicht ist das heute durch die Vervielfachung der Lebensherkünfte anders. Aber damals war dieses Missmutige, dieses Misstrauen ein Synonym. Und erst, wenn man die Menschen besser kennengelernt hatte, verschwand dieses Misstrauen langsam. Aber es ist mir auch wichtig diese Skepsis zu zeigen. Denn die war ja da und drückte ein allgemeines Gefühl aus. Eine Skepsis gegenüber jeden, der ein Beobachter war, denn man wusste ja nicht, ob er die Bilder, die er da machte, an eine Behörde, vielleicht sogar an die Staatssicherheit weitergeben würde. Ich habe dadurch gelernt, dass man mit diesen Sachen sehr verantwortungsvoll umgehen muss.

Wie viele Bilder von Potsdam haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Schwer zu sagen, aber bestimmt 500 Filme, also in der Masse circa 15 000 bis 20 000 Bilder. Wobei man bedenken muss, dass pro Film wohl nur ein Bild dabei ist, das man verwenden kann.

Wie haben Sie die katastrophale Situation in der historischen Innenstadt erlebt, diesen bewussten und forcierten Verfall der alten Häuser?

Oh, das war wirklich sehr schmerzhaft. Gerade diese Situation Jägerstraße Ecke Gutenbergstraße. Das war ja die totale Zerstörung dort. Noch ’85 und ’86 hätte man glauben können, hier seien gerade erst die Weltkriegsbomben von 1945 explodiert. Aber das war ein Zustand, der erst nach und nach entstanden ist, durch diese totale Verantwortungslosigkeit der Behörden. Das war immer wieder schockierend.

Und wie haben Sie die Stadt über diesen Zeitraum erlebt, wie hat sich Ihre Wahrnehmung verändert?

Vor allem habe ich die Menschen besser kennengelernt. Und viele auch erst kennengelernt, wie die Clowns Eddie und Locki. Die haben mich dann später auch engagiert, damit ich ihre Promotion- und Plakatbilder mache. Oder ich habe Leute auf ihrem Boot fotografiert, die mich dann auch mal mitgenommen haben. Durch die Kamera sind so sehr viele positive Kontakte entstanden, weil wir sehr oft nach der Aufnahme ins Gespräch gekommen sind. Natürlich nicht immer, denn es gibt auch Aufnahmen, wo das Flüchtige bewusst gewählt war. Menschen im Vorbeigehen, nur für einen Moment im Bild. Hier bin ich immer dem Grundgedanken vom entscheidenden Augenblick des Fotografen Cartier Bressons gefolgt, einem der großen, von mir sehr verehrten Kollegen aus der Vergangenheit.

Beeindruckend in der Ausstellung sind vor allem auch die Aufnahmen mit den Clowns Eddie und Locki, die Sie bei Proben auf einem Abrissgrundstück in der Innenstadt fotografiert haben. Ist Ihnen damals schon bewusst gewesen, wie sinnbildlich diese Situation war?

Natürlich. Das war einfach eine herrlich absurde Situation. Da sind zwei Clowns in ihren Kostümen, die ihr Programm zur Erbauung der Menschen, vor allem zur Freude der Kinder, also der nachwachsenden Generation machen und da auch eine Menge Herzblut reinlegen. Denen war die Umgebung zum Üben egal, aber die haben daraus dann auch einen Programmpunkt gemacht. Und so schizophren diese Sache auf dem Bild rüberkommt, so ist sie auch gewesen. Daraus lässt sich auch so viel lesen, unter anderem, dass die Menschen sich nicht haben unterkriegen lassen, sondern mit den Möglichkeiten gelebt haben, die sie da vorgefunden haben.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Am heutigen Donnerstag ist Jürgen Strauss ab 19 Uhr zu Gast im Potsdam Museum, Am Alten Markt, in der Reihe „Vis-à-Vis – Künstlergespräch und Ausstellungsrundgang“. Die Ausstellung „1984 Photographie – Jürgen Strauss“ ist noch bis zum 23. Februar dienstags bis freitags von 10-17 Uhr, donnerstags von 10-19 Uhr, samstags, sonntags und feiertags von 10-18 Uhr geöffnet. Zur Finissage am 23. Februar erscheint ein Bildband zur Ausstellung mit den Fotografien von Jürgen Strauss

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