Kultur: Das Netz der Realität
Lutz Dammbeck und sein Film im Filmmuseum
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Lutz Dammbeck und sein Film im Filmmuseum Technologiekritik: „Mit diesem Film bin ich in eine seltsame Sache geraten.“ Spannender kann ein Dokumentarfilm nicht beginnen. Die Recherchen von Lutz Dammbeck, des Regisseurs des Films „Das Netz“, den er morgen im Gespräch mit der Chefdramaturgin Anne-Sylvie König vom Hans Otto Theater im Filmmuseum vorstellen wird, begannen harmlos und endeten bei einem der spektakulärsten Kriminalfälle der USA – dem Unabomber. Einem ehemaligen Mathematikprofessor und Zivilisationsaussteiger, der für diverse blutige Sprengstoffanschläge lebenslänglich im Gefängnis sitzt. Dammbeck hielt wohl irgendwann seinen neuen Computer in den Händen. Einen kleinen Apple Laptop, dessen vollmundige Produktbeschreibung den Professor an der Kunsthochschule in Dresden zum Nachdenken brachte. Begriffe wie Multimedia, Virtualität, Grenzüberschreitung und Revolution erinnerten Dammbeck an die Aufbruchstimmung der Kunst-Avantgarde der 60er, jener unbeschwerten Zeit, in der die Botschaft von Künstlern wie Warhol, Rauschenberg und Cage lautete: „alles ist möglich“, „du bist, was du sein möchtest.“ Also packt Dammbeck seinen Computer ins Flugzeug, um diese Beziehungen zwischen Kunst und Computer wie ein Dektektiv nachzuspüren. Das weiße kleine Notebook begleitet Dammbeck zunächst zu Interviewpartnern, die damals in New York dabei waren, als Künstler und Wissenschaftler Anfang der 60er Jahre die neuen Medien gemeinsam entdeckten. Es war eine heile Welt. Die Möglichkeiten der neuen Technologien schienen grenzenlos zu sein. Dammbeck holt Zeitzeugen vor seine Digitalkamera, wie den nun „reichen und berühmten“ Verleger John Brockman, die aufzeigen, dass die Ideen der Computerentwicklung erstaunliche Parallelen zu damaligen Hippie Bewegung mit ihren Bewusstsein erweiternden Drogenexperimenten besaßen. Die Kybernetik (engl. Cybernetic), die Lehre vom Nachrichtenfluss in Menschen und Maschinen, entwickelte sich zur globalen Leitwissenschaft. Das Internet und sein militärischer Vorläufer Apanet ist eines ihrer Produkte, der virtuelle Cyberspace eine ihrer Utopien. Eine Überzeugung der Kybernetiker: das menschliche Gehirn bildet die Realität nicht ab, es errechnet sie. Mit der auch Dammbeck offensichtlich erstaunenden Konsequenz, dass sich Menschen regelrecht programmieren lassen könnten, so dies zuträfe. Dammbeck skizziert seine Suche innerhalb des „Netzes“ als Systemdiagramm, die Kamera zeichnet die einzelnen Schritte der Überlegungen auf dem Papier jeweils nach. Von den Hippies zu den Wissenschaftlern, von dort zum Militär und schließlich zum Geheimdienst CIA. Doch an einer Stelle lässt sich keine Verbindung mehr ziehen. Ted Kacynski, der Unabomber, mit einem IQ von 170 bereits mit 16 Jahren Student der Mathematik in Harvard, später Professor in Berkeley, war als Wissenschaftler lange Zeit selbst Teil des „weltweit sich ausbreitenden Maschinensystems“. Dann wendete er sich radikal und mit Sprengstoff gegen ehemalige Kollegen. Dammbeck fragt nach Gründen und beginnt einen Schriftwechsel. Die Briefe aus dem Gefängnis des von allen als „verrückt“ Dargestellten klingen seltsam rational, im Gegensatz zu manchen Aussagen der Wissenschaftler. „Das Netz“, eine intuitiv angelegte Montage von Interviews und Fundstücken zum Thema Technologie, Utopie und Realität, wertet nicht explizit. Aber am Ende zieht sich das von Lutz Dammbeck geknüpfte Netz doch mit einer gewissen Überraschung zu. M. Hassenpflug
M. Hassenpflug
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