Kultur: Das Prinzip Liebhaber
Martina Rellin stellte ihre Bücher im Rahmen der Frauenkulturtage vor
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Martina Rellin stellte ihre Bücher im Rahmen der Frauenkulturtage vor Die Frauen sind verschieden und sich doch sehr ähnlich. Eine entdeckt mit Ende 60, dass sie nicht glücklich in ihrer Ehe ist. Ohne den Ehemann, für den sie sich verantwortlich fühlt, zu verlassen genießt sie eine neue Liebe. Eine andere sieht ihren Liebhaber einmal im Jahr, ein inszeniertes Ritual, das als Auszeit vom Alltagsleben funktioniert. Eine dritte liebt ihren Garten, die Kinder und die Geborgenheit in der Ehe. Für das Kribbeln im Bauch sorgen die heimlichen Treffen mit dem anderen Mann. Sie sind häufig über 40, haben längst Kinder, sind berufstätig, selbstbewusst, finanziell selbstständig und entsprechen so ganz und gar nicht dem Bild der alleinstehenden jungen Geliebten, die ungeduldig auf die Anrufe des verheirateten Mannes wartet. Am Donnerstag stellte Martina Rellin im Rahmen der siebten Frauenkulturtage ihre beiden Protokollbücher „Ich habe einen Liebhaber“ und „Wir sind die neuen Liebhaber“ in der Stadt- und Landesbibliothek einem sehr interessiertem aufgeschlossenen und nicht nur weiblichem Publikum vor. Als Redakteurin der Monatszeitschrift „Das Magazin“ war sie auf das bis heute immer noch tabuisierte Phänomen der außerehelichen Liebesbeziehung gestoßen und hatte zunächst zahlreiche Frauen interviewt, um sich in einem zweiten Buch den Männern, den Liebhabern zu widmen. Ethnologen und Soziologen wissen es schon lange, die Monogamie ist vor allem ein Ideal, das gesellschaftsfestigend wirkt und gesetzlich sanktioniert werden muss, weil sie eben nicht in jedem Fall ausschließlich gelebt wird. Ein Sexualleben außerhalb der Zweierbeziehung gilt als Konventionsbruch. Verständlich, denn wenn eine Gesellschaft so sehr auf die Kleinfamilie, auch als wirtschaftliche Einheit setzt, dann kann sie es nicht erlauben, dass es etwa Unsicherheiten über die Elternschaft der Kinder gibt. Der Blick von Martina Rellin auf Menschen, die eine verbotene Liebe in ihr Leben integrieren, ist weder ein wissenschaftlicher, noch ein voyeuristischer. Vielmehr interessieren sie die Menschen, die sich einer solchen Lebensform der aufgeteilten Liebe - hier der Alltag, dort die Erotik – stellen, als Personen. Selbiges soziokulturelle Interesse unterstellt sie augenzwinkernd auch dem Publikum. Tatsächlich schafft es Martina Rellin Porträts zu zeichnen, die die einzelnen Lebensentwürfe mit Liebhaber nachvollziehbar machen. Sie zeigen den Mut, die Lebenslust und auch die Loyalität den festen Partnern gegenüber, die diese Frauen aufbringen. Die traditionellen Muster des immer potenten Mannes und der an Migräne leidenden Sex-abgeneigten Ehefrau stimmen für diese Menschen nicht. Die Frauen und ihre Liebhaber gehen damit aktiv um. Nicht thematisiert wird von Rellin der Verrat, der fast immer an den dritten Beteiligten, oder eben nicht Beteiligten, begangen wird. Die Ehepartner werden selten eingeweiht in die Liebschaft. Sie werden aus dem zweiten Leben, dass neben dem Alltag läuft, herausgehalten. Die Frage ob mit der Abgeklärtheit, dass ein Mann bzw. eine Frau im Leben nicht genügt, die romantische Liebe, die Erfüllung aller Bedürfnisse in einer Liebe verspricht, so ganz diskreditiert werden muss, sollte jede und jeder für sich ausprobieren. Die Hoffnung, dass der Alltag nicht Lust tötend sein muss und die vertraute Geborgenheit nicht irgendwann in unerotische Gewohnheit versinkt, steht wohl am Anfang einer jeden Beziehung. Und wäre diese nicht, wer würde sich dann noch binden? Im kommenden Monat erscheint ein neuer Protokollband mit Fraueninterviews. Als nächstes Projekt plant Martina Rellin ein Porträtband über ostdeutsche Frauen, denn besonders diese seien selbstbewusst und nähmen ihr Leben, d.h. auch ihr Sexualleben, selbst in die Hand. Damit entsprächen sie so gar nicht dem Klischeebild des Jammerossis, gegen das die Journalistin angehen möchte. Helen Thein
Helen Thein
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