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Bleibt optimistisch. Tobias Wellemeyer in seinem Büro im Hans Otto Theater.

©  Andreas Klaer

ZUR PERSON: „Das Publikum soll nicht auseinanderbrechen“

Theaterintendant Tobias Wellemeyer über die Premierenflut, Zuschauerzahlen und Kritiken zur neuen Spielzeit „Es gibt in der Kritik pauschalisierende Geschmacksurteile – denen ist man ausgeliefert.“

Stand:

Herr Wellemeyer, sind Sie von Potsdam enttäuscht?

Überhaupt nicht. Wir sind hier auf ein sehr offenes und interessiertes Publikum gestoßen. Es gibt ein sehr differenziert sozial zusammengesetztes Publikum, mit sehr verschiedenen Erwartungshorizonten, die auch vehement so formuliert werden. Aber wir hätten es für falsch gehalten, ein Programm auf Vorurteilen oder auf Ängstlichkeit aufzubauen. Wir wollen sehr verschiedene Theaterformen anbieten, um uns in der ganzen Breite vorzustellen. Aus den Reaktionen können wir dann lernen, in welche Richtung eine Spielplangestaltung künftig fruchtbar und sinnvoll ist.

Wissen Sie schon, in welche Richtung Sie künftig marschieren wollen?

Die Zeit ist mit 15 neuen Stücken in sieben Wochen wie im Fluge vergangen. Erst jetzt beginnt der Alltag, erst jetzt beginnen wir anzukommen.

Haben Sie sich nicht überfordert?

Vom Sommer aus gesehen war der Gedanke, ein möglichst breites Repertoire anzubieten, durchaus richtig. Im Nachhinein muss ich sagen, dass wir in allen Bereichen an unsere Grenzen gegangen sind.

Und auch bei den Besuchern erzeugte diese Menge an Stücken Ratlosigkeit.

Wir selbst brauchen eine bestimmte Zeit, um uns komplex vorzustellen, und das Publikum natürlich auch, um uns in der ganzen Breite wahrzunehmen.

In einer Online-Umfrage konnten PNN-Leser entscheiden, ob sie den Start des neuen Ensembles für gelungen halten. 43 Prozent votierten mit Ja, 57 Prozent mit Nein.

Umgekehrt wäre es mir lieber gewesen. Die Bewertung der Zuschauer erfolgt derzeit nach zwei, drei Aufführungen, wenn einer viel gesehen hat. Und dabei kommt es natürlich auch darauf an, welche „Eingangstür“ er gewählt hat. Es wäre toll, wenn wir uns gegenseitig ein bisschen mehr Zeit einräumen.

Es gibt auch von Premieren-Anrechtlern die Überlegung, ihr Abonnement zu kündigen.

Uns erreichen aber auch Nachfragen von Menschen, die jetzt gern ein Premierenanrecht abschließen möchten. Es gab insbesondere nach „Macbeth“ große Empörung und zugleich großen Jubel. Die Kritik war extrem zweigeteilt. Eine Aufführung, die uns darüber nachdenken lässt, wie wir mit dem Anrechtspublikum in Zukunft umgehen und in welche Nachbarschaften wir bestimmte künstlerische Formen rücken, ob wir bestimmte Ansätze zum Beispiel eher in der Reithalle anbieten.

Also nicht allen alles zumuten?

Konsens ist schwer herstellbar, zumal die Kunst des Theaters von Konflikten lebt. Aber ich will vermeiden, dass das Publikum auseinanderbricht. Die Ausdrucksintensität einer Inszenierung ziehen die Regisseure aus ihrer Sicht der Inhalte. Da muss man es aushalten, dass man etwas ausrichtet oder anrichtet. Es geht uns nicht darum, die Menschen zu „schocken“ oder gar zu vertreiben, übrigens auch Lukas Langhoff nicht. Er ist aber nun mal ein lustvoller, anarchistischer Mensch.

Der als nächstes Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns" in der Reithalle inszenieren wird. Wie wird die neu ausgerichtete Reithalle mit ihrem Nachtboulevard insgesamt angenommen?

Sehr interessiert. Auch dort brauchen wir eine Anlaufzeit, mindestens eine Spielzeit. Man muss dem Team Raum geben, Kunst braucht Freiräume. Ich treffe mich nicht drei Mal in der Woche mit dem Team, um ihm zu sagen, macht alles anders.

Wie gehen die Schauspieler mit der durchaus auch heftigen Kritik um?

Sie stehen hinter unserem Programm und sind stolz darauf, was sie in den letzten sieben Wochen geleistet haben. Mich selbst trifft jede schlechte Kritik sehr tief, vor allem wenn sie sich auch auf die Darsteller bezieht, die sich mit ihrer ganzen Existenz und ihrer Offenheit auf der Bühne einbringen. Es gibt in der Kritik pauschalisierende Geschmacksurteile – denen ist man ausgeliefert, aber auch beschreibende und argumentierende Bewertungen – mit denen kann man umgehen, und die bringen uns voran. Die Kritik ist ja nichts Objektives, sondern so subjektiv wie die Kunst selbst.

Wie sieht es denn mit der Auslastung des Hauses aus?

Die Zuschauerzahlen im Oktober 2009 entsprechen denen vom Oktober 2008. Die Neugierde ist also groß, genauso wie die Skepsis. Im November und Dezember zeichnet sich eine sehr positive Tendenz ab, aber eine auswertende Betrachtung ist erst nach einem halben Jahr sinnvoll.

Welche Stücke laufen am besten?

„Don Juan“ und inzwischen auch „Die Wildente“. Sehr schöne Reaktionen erhält die „Glasmenagerie“ und verblüffenderweise auch „Aeneis“, ein alter, zeitgenössisch übermalter Stoff, der gerade junge Leute anzieht. Bei „Drachenreiter“ können wir derzeit gar nicht alle Besucherwünsche erfüllen. Aber er wird im kommenden Jahr verstärkt auf dem Spielplan stehen. Gerade das Kinder- und Jugendtheater liegt uns sehr am Herzen. „Reich werden“ können wir aufgrund der niedrigen Eintrittspreise damit nicht, wollen aber andererseits mit schönen Ausstattungen aufwarten. Da stoßen wir dann manchmal an unsere finanziellen Grenzen. Wir versuchen, kreativ damit umzugehen.

Das Theater ist im Stadtbild nur wenig präsent, müsste die Werbung nicht offensiver sein?

Auch das ist eine Frage der Finanzen. Wir setzen auf eine Wechselstrategie. In den ersten Wochen nutzten wir vor allem den Leporello in hoher Auflage, um die Angebotsbreite zu transportieren, und auch die Medien, in denen wir sehr präsent waren. Es ist nicht so, dass wir darüber hinaus keine Ideen hätten, doch durchgehende visuelle Strategien sind einfach sehr teuer. Deshalb haben wir uns entschieden, das Verfahren etappenweise zu wechseln. Zunächst haben wir, mit der Unterstützung des Kommunalen Immobilienservices, die Neugestaltung der Reithalle in Angriff genommen und die Foto- und Lichtwerbung im Theaterfoyer.

Kommt nach dem Herbststurm, mit dem Sie über Potsdam gefegt sind, nun die Zeit der Besinnung?

Die Anzahl der Premieren wird künftig überschaubarer. Wir nehmen uns mehr Zeit für Einführungen, Zuschauergespräche, für die Kommunikation und auch fürs Feiern mit dem Publikum. In der Ansetzung unserer Stücke können wir jetzt die Temperaturen zwischen „dramatisch und heiter“ stärker ausbalancieren. Schließlich sind wir sehr lebensfrohe Naturen.

Das Gespräch führte Heidi Jäger.

Tobias Wellemeyer, 1961 in Dresden geboren, ist Intendant am Hans Otto Theater und Regisseur.

Wellemeyer studierte Theaterwissenschaft in Leipzig und war von 1989 bis 2001 Regisseur am Schauspielhaus Dresden. 2001 wurde er Intendant der Freien Kammerspiele Magdeburg und 2004 Generalintendant des Theaters Magdeburg. Seit diesem Sommer ist er Intendant am Hans Otto Theater.

Tobias Wellemeyer ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Potsdam. kip

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