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Kultur: Das Rätsel im Bösen
Was macht Menschen zu Mördern? Zwei Filme erkunden die Ursachen für den Tabubruch
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Er werde nie einem Täter sagen, er sei für ihn böse. Nur selten verwende er das Wort „böse“, sagt der Profiler der Bremer Mordkommission Axel Petermann. Er ist einer der Hauptakteure im Dokumentarfilm „Die Natur des Bösen“, der im Rahmen des „Incredible Filmfestes“ am Mittwoch im Thalia Filmtheater gezeigt wurde. Als sei er tief in Gedanken versunken schreitet der Mann mit dem strohblonden Haar und der ruhigen Stimme durch eine leere Werkhalle, den Ort, an dem kurz zuvor eine junge Frau ermordet wurde. Manchmal hockt er sich hin, macht Notizen, versucht die Entscheidungen und Handlungen des Täters nachzuvollziehen. Entscheidungen, die sich als Spuren zeigen, sei es auf unzähligen Tatortfotos an den Wänden seines Büros. „Für mich ist das Töten dem Menschen immanent, es ist Teil unseres Seins“, sagt Petermann, für den der Mensch also selbst das Böse verkörpert. Doch was ist das Böse? Wie wird ein Mensch böse? Kann er das überhaupt oder sind nur seine Taten böse?
Diesen Fragen widmet sich auch die ebenfalls im letzten Jahr produzierte und am Mittwoch im Thalia gezeigte Dokumentation „Das Böse. Warum Menschen Menschen töten“ von Karin Jurschick. Doch eher vom wissenschaftlichen Standpunkt versucht dieser Film zu beantworten, ob beispielsweise der Mensch einen durch Sozialisation abrufbaren, angeborenen Killermodus besitzt, ob Psychopathen heilbar sind oder ob das Böse allein im Gehirn zu verorten ist. Als Erklärung schließlich, warum Menschen böse sein können, werden in dieser Expertenrundschau denn auch vor allem genetische Einflüsse und frühkindliche Erfahrungen genannt. Eindrucksvoller beschäftigt sich dagegen Katharina Pethke in ihrem Film „Die Natur des Bösen“ mit der grundlegenden Frage nach dem Bösen, wobei sie häufig die Ambivalenz zwischen Gut und Böse beleuchtet. Wie nah beide Kategorien beieinanderliegen, wie rasch gute Absichten ins Böse umschlagen können, zeigt sie am Beispiel des Dorfes Insel in Sachsen-Anhalt. Nachdem dort zwei ehemalige Sexualstraftäter untergebracht worden sind, hat sich rasch ein großer Bürgerprotest formiert, dessen Dynamik inzwischen so weit reicht, dass Bewohner mit einer anderen Ansicht auf fast aggressive Weise aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen werden. Um sich der Natur des Bösen zu nähern, lässt die Regisseurin aber hauptsächlich Menschen zu Wort kommen, die in ihrer täglichen Arbeit mit der Zwiespältigkeit von Gut und Böse konfrontiert sind.
Da ist etwa die Kriegsreporterin Ursula Meissner, die davon erzählt, oft hasserfüllte Blicke zu ernten, wenn sie das Grauen des Krieges fotografiert. Doch sei sie überzeugt, nur durch ihre Bilder zur Aufklärung beitragen zu können. Auch die Restauratorin Margrit Bormann, die im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau originale Gegenstände ermordeter Juden für Ausstellungen aufbereitet, ist sich sicher, nur so die Erinnerung an den Holocaust bewahren zu können. Und da ist auch der Tübinger Theologe Karl-Josef Kuschel, der auf die alttestamentarische Geschichte von Kain und Abel hinweist: „Vier Menschen sind erst auf der Welt – Adam, Eva, Kain und Abel – und schon liegt einer erschlagen am Boden.“ Kuschel hält den Menschen nicht für von Natur aus böse. Doch ähnlich wie der Fallanalytiker Petermann ist er der Ansicht, dass die Anlage zum Bösen im Menschen stecke, dass er verführbar sei für das Böse.
Michael vom Ende, Pressesprecher der ERF-Mediengruppe und einer der Gäste, greift dies später dankbar auf. Man könne lange überlegen, wo das Böse herkommt. Wichtiger jedoch sei, zu wissen, wie es überwunden werden kann.
Das „Incredible Filmfest“ ist noch bis einschließlich Samstag im Thalia Filmtheater in der Rudolf-Breitscheid-Straße 50 zu erleben. Informationen zum Programm unter www.incredible-filmfest.de
Daniel Flügel
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