Kultur: „Das steife Ritual im Konzerthaus schreckt viele ab“
Folkert Uhde über klassische Musik im Liegen, die Vermischung von Elektronik und Alter Musik und die neue Nikolaisaalreihe „Aufgemischt“
Stand:
Herr Uhde, am Samstag lassen Sie in der neuen Nikolaisaalreihe „Aufgemischt“ Alte Musik auf Jazz und Elektronisches treffen. Im Berliner Radialsystem bieten Sie das schon seit Jahren als Barock Lounge an. Ein Erfolgsrezept, das auf Potsdam übertragen werden soll?
Die Barock Lounge war gewissermaßen ein Anknüpfungspunkt für Aufgemischt. Denn beiden ist gemeinsam, dass wir musikalisch Stile zusammenbringen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so zusammengehören mit dem Ziel, Erwartungen und Hörgewohnheiten aufzubrechen. Und das sowohl im Publikum als auch bei den Musikern. Gleichzeitig möchten wir so auch ein Publikum gewinnen, das sich sonst nicht unbedingt für Alte Musik interessiert, sondern für elektronische Musik, für die Club- und DJ-Kultur im weitesten Sinne. Das funktioniert im Radialsystem wirklich sehr gut.
Dabei beschränkt sich Ihr Konzept aber nicht allein auf den Dialog scheinbar ganz unterschiedlicher musikalischer Genre.
Nein, wir verändern auch die Räumlichkeiten. Im Foyer des Nikolaisaals haben wir uns ganz genau gefragt, wo die Bühne steht, welche Art von Bestuhlung wir wählen und vieles anderes mehr. Wir haben sogar extra Bänke aus Bühnenelementen gebaut. Das alles mit dem Ziel, einen Raum mit einer gewissen Aufenthaltsqualität hat.
Nun lässt sich mit Sicherheit über die Architektur und die Optik im Nikolaisaal streiten, aber eine gewisse Aufenthaltsqualität kann man diesem Konzerthaus nicht absprechen.
Das ist richtig. Wir wollen aber diese normale Konzertsituation aufbrechen. Nicht dieses Ankommen im Foyer, man gibt seinen Mantel in der Garderobe ab, geht dann in den Saal, die Musiker kommen von der anderen Seite auf die Bühne und das Konzert beginnt. Danach verschwinden die Musiker wieder durch diese Mäuselöcher in den Bühnenecken, wie ich sie immer nenne, durch die sie gekommen sind und das Publikum geht nach Hause. Wir wollen etwas anderes. Nicht unbedingt Wohnzimmeratmosphäre, eher etwas, das an eine Lounge, an Party erinnert. So, dass man sich auch während der Darbietung ein Getränke holen kann und auch nach dem Konzert einfach sitzen bleiben will.
Darum auch nach dem Konzert bei „Aufgemischt“ der Auftritt eines DJs?
Ja, und bei der Premiere im November hat das auch großartig funktioniert. Es hat vielleicht drei Minuten gedauert und weit über die Hälfte der Gäste hat getanzt. Hinzu kommt, dass die Musiker auch nicht einfach in die Künstlergarderoben verschwinden. Die bleiben da, kommen mit den Gästen ins Gespräch und bauen so bestimmte Schwellen ab, die immer noch zwischen Musikern und Publikum bestehen.
Im Grunde durchbrechen Sie nicht nur Erwartungen und Hörgewohnheiten, sondern stellen das Ritual des Konzertbesuchs auf den Kopf.
In den Jahren, in denen ich das jetzt schon mache, bin ich zu der festen Überzeugung gekommen, dass das Haupthindernis, um mehr Menschen für solche klassischen Konzert zu gewinnen, tatsächliches dieses steife Ritual ist, das oft genug auch eine steifes Ambiente bedingt. Die haben einfach keine Lust darauf.
Wenn man sich nun sämtliche Konzerthäuser dieser Welt mit dem klassischen Aufbau von Bühne und Zuschauerraum, also deren strikter Trennung, klingen Ihre Wort doch sehr ketzerisch.
Aber selbst in Berlin glauben noch immer so viele Leute, dass sie zumindest ein Sakko anziehen müssen, wenn sie ins Konzerthaus gehen. Aus der Sicht von Menschen wie wir, die regelmäßig solche Konzerte besuchen, ist das natürlich absurd. Wir wissen und sehen, man kann da hingehen, wie es einem gefällt. Aber allein schon die Vermutung eines solchen steifen Ambientes reicht, um da nicht hinzugehen. Und wenn wir schon bei dem Aufbau des klassischen Konzertsaals sind, müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass der fast immer an das Modell des Wiener Musikvereinssaals angelehnt ist. Das ist der klassische Schuhkarton und gilt als der berühmteste Konzertsaal der Welt. Der ist 1864 eröffnet worden für damals aktuelle Musik.
Und aus dieser Zeit stammt auch das Ritual der anständigen Kleidung beim Konzertbesuch?
Damals war der Frack das angemessene Kleidungsstück. Aber dahinter stand der Wunsch einer Egalisierung des Publikums. Weg von dieser seltsamen Ausprägung der Trachten im 18. Jahrhundert hin zu diesem Frack als universelles Kleidungsstück. So konnte man nicht gleich auf den ersten Blick erkennen, ob da jetzt ein Herr von Stand oder ein Handwerkermeister steht. Daher auch die Tradition, dass Musiker heute noch einen Frack tragen. Fragen Sie mal einen Musiker, warum er einen solchen Frack trägt. In den meisten Fällen wissen die das nicht.
Männer tragen noch Frack, bei den Frauen ist die Kleiderordnung auf der Bühne dagegen doch sehr locker.
Aber nur aus der Verzweiflung heraus, weil es da nichts Adäquates gibt.
Derartige Fragen stehen beim Besuch von Aufgemischt, der Barock Lounge oder der Nachtmusik im Radialsystem nicht zur Debatte. Wie aber sind Sie auf die Idee für diese Formate gekommen?
Da kamen eigene Erfahrungen und eigenes Interesse zusammen. Die Idee der Nachtmusik, also Konzerte im Liegen zu veranstalten, hatte ich schon sehr lange. Ich war lange Manager für das Ensemble Akademie für Alte Musik in Berlin und habe so zahlreiche Konzertsäle und Festivals besucht. Und da war immer der Wunsch, sich einfach nur zurückzulehnen und das Konzert so zu genießen. Ich habe dann auch mit vielen Kollegen darüber gesprochen, doch die Reaktionen waren sehr verhalten. Es hieß immer nur: Wie sollen wir das machen? Oder das gefällt unserem Publikum nicht. Im Radialsystem haben wir es dann einfach gemacht. Und siehe da, die Leute lieben es.
Und die Musiker?
Beim Publikum war ich mir ziemlich sicher, dass es das lieben wird. Bei den Musikern wusste ich es nicht. Aber die lieben das auch. Interessant daran ist, dass die Musiker viel konzentrierter spielen.
Während das Publikum auf dem Boden lümmelt?
Wir haben immer wieder hochkarätige Musiker, die das gerne machen. Die ganze Atmosphäre ist anders, darum spielen die Musiker auch anders, konzentrierter. Hinzu kommt die einfache Idee, dass es da kein Podium gibt. Sonst sitzt ein Streichquartett im Halbkreis auf der Bühne und spielt in das Publikum. Das führt fast immer dazu, dass sich das Publikum zurücklehnt nach dem Motto: Na schauen wir mal was da jetzt kommt. Das führt dazu, dass die volle Verantwortung für den Abend allein bei den Musikern liegt und die Zuhörer nicht selten unkonzentriert werden.
Sie setzen die Musiker einfach in die Mitte?
Ja, genauso würde man ja auch zusammen proben, in dem man sich gegenübersitzt. Dadurch verändert sich das Spiel der Musiker, gleichzeitig ist auch das Publikum viel aktiver, viel konzentrierter bei der Sache, weil ich als Hörer jetzt gezwungen bin mit meiner Aufmerksamkeit in das Zentrum dieses Kreises zu gelangen. Und ganz unbewusst verändert man so seine Haltung. Das kann man auch an den Körperhaltungen beobachten.
Hat Sie das überrascht?
Im Grunde schon, denn wir hatten ja keine theoretischen Vorgaben für diese Formate. Das hat sich alles erst in der Praxis gezeigt. Stück für Stück haben wir da ausprobiert. Und wir sind da immer noch am probieren.
Der Erfolg spricht am deutlichsten für Ihre Ideen. Der Nikolaisaal in Potsdam hat das jetzt mit Aufgemischt übernommen. Folgen auch andere dem Beispiel?
Es gibt schon viele Anfragen von Kollegen, die sich da auch Gedanken machen und unsere Reihe Nachtmusik ist jetzt von der Philharmonie in Luxemburg übernommen worden. Aber ansonsten wird da erstaunlich wenig umgesetzt.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„JazzRenaissance“ in der Reihe „Aufgemischt“ mit Katharina Bäuml (Schalmeien, Dulzian), Michel Godard (Serpent, E-Bass) und Bruno Helstroffer (Theorbe) mit Originalkompositionen, improvisierte Musik und „Standards“ wie Chaconnen und Passacaglien von Monteverdi, Caccini, Ortiz und Falconieri und DJ Ipek am Samstag, dem 2. Februar, um 20.30 Uhr im Foyer des Nikolaisaals, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Um 18.30 Uhr gibt es in der „HörBar“ eine Einführung in die Musik des Abends
Folkert Uhde, geb. 1965 in Wilhelmshaven, war von 1997 bis 2008 Manager und Dramaturg der Akademie für Alte Musik Berlin und gründete 2005 mit Jochen Sandig das Radialsystem.
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