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Chopins Leidenschaft. Ewa Kupiec im Nikolaisaal.

©  Manfred Thomas

Kultur: Das Sturmbrausen der Fantasia

Ewa Kupiec mit Chopin im Nikolaisaal

Stand:

Die Atemlosigkeit war nicht nur Ewa Kupiec anzumerken. Auch der eigene Puls hatte sich bei dieser Fantasia beschleunigt. Nur in den ersten Takten seiner Fantasia f-Moll op. 49 lässt Chopin das Lyrische aufscheinen, das sich zum Ende hin kurz wiederholt. Dazwischen viel Aufruhr und kompaktes Pathos. Da tobt die polnische Seele, zumindest musikalisch, so wie es Frédéric Chopin im Pariser Exil gesehen haben soll. Anspielungen finden sich reichlich in dieser Komposition, hatte doch Chopin immer wieder und reichlich traditionelles Liedgut aus der Heimat in seinen Stücken zitiert.

Ewa Kupiec legte die Betonung auf das Heroische und Zerrissene. Ihre Interpretation der Fantasia am Ende ihres Chopin-Programms am Samstag im fast ausverkauften Nikolaisaal war ein Sturmbrausen von gelegentlich kaum zu überbietender Rasanz. Eine tragische Figur hatte Ewa Kupiec ihren Landsmann in einem PNN-Interview genannt. Und das Tragische im Leben dieses Mannes, dessen 200. Geburtstag Anlass zu dem Abend unter „Chapeau! Chopin!“ im Nikloaisaal gab, war das Grundthema von Ewa Kupiecs gut anderhalbstündigem Konzert.

Schon das eröffnende Scherzo cis-Moll op. 39 kam einem Donnergrollen gleich. Ein Aufbäumen und Hoffen, immer auch durchsetzt von herber Melancholie. Ewa Kupiecs Technik dabei frappierend, ihre Herangehensweise ein ständiges Ringen mit Kompositionen, die sich scheinbar nur schwer beugen lassen. Ob die vier Mazurken aus op. 41, der Grande Valse As-Dur op. 42, die Polonaise fis-Moll op. 44 oder besagte Fantasia – jedes einzelne Stück musste sich erarbeitet werden, wobei Ewa Kupiec nie die notwendige Leichtigkeit verlor. Doch auch wenn ihr gelegentlich heftiger Pedalgebrauch, die Wucht ihrer linken Hand und das ständige Bäumen und Beben manche Feinheit verschwimmen ließen, der Chopin, den Ewa Kupiec an diesem Abend präsentierte, war eine tragische Figur, auf die man sich, mit all den Ecken und groben Kanten, gern, neugierig und immer wieder überrascht einließ.

Wie lyrisch Chopin sein konnte, zeigen seine Nocturnes. Doch Ewa Kupiec gab noch einmal tiefere Einblicke in das längst Bekannte dieser Kompositionen. Als sie als Zugabe die bekannte cis-Moll-Nocturne erklingen ließ, war das wie ein feiner Sonnenschein nach dem Dunkeldräuenden der Fantasia. Auch da war Atemlosigkeit, aber solche, die glücklich macht. Dirk Becker

Dirk Becker

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