Ein freundschaftlicher Kuss, ein Klaps oder ein verführerischer Blick. Es brauchte nicht viel in den Jahren des nationalsozialistischen Regimes, um als homosexueller Mann seine Freiheit oder gar sein Leben zu riskieren. Harmlose Avancen – aufgeschnappt von einem Unbeteiligten, einem Kollegen oder einem falschen Freund – reichten aus, um in die Mühlen der Nazi-Justiz zu geraten.
Rund 130 000 Männer sind zwischen 1933 und 1945 in sogenannten Rosa Listen erfasst worden. Knapp die Hälfte von ihnen wurden nach Paragraph 175 verurteilt. Etwa 10 000 Schwule mussten ihr Leben in Konzentrationslagern lassen. Mindestens 200 kamen auch in einer beispiellosen Mordaktion, unweit von Potsdam, im Klinkerwerk Oranienburg zu Tode. Ihre Leidensgeschichte ist jedoch erst seit Mitte der 90er Jahre bekannt.
Am Montag widmete ihnen das Potsdamer Filmmuseum unter dem Titel „Rosa Winkel“ einen ganzen Abend. Mit dem Film „Paragraph 175“ sowie eines halbstündigen Auszug aus dem Film „Die Klänge des Verschweigens“ sollte auf die Verfolgung der Schwulen und die Erinnerungsarbeit im Klinkerwerk aufmerksam gemacht werden. In knapp zwölf Wochen fielen dort im Jahr 1942 fast alle mit einem rosa Winkel auf der Kleidung markierten homosexuellen Häftlinge den Quälereien der SS-Schergen zum Opfer.
„Das Bewusstsein über das Geschehene gab es lange nicht“, sagte Alexander Zinn vom Deutschen Lesben- und Schwulen Verband auf der anschließenden Podiumsdiskussion. „Wir haben in Oranienburg keine Überlebenden, die berichten können.“ Im Gegensatz zu anderen Häftlingen hätten die Männer ihre Erlebnisse selten weitergereicht. „Die Verfolgung ist weiter gegangen“, sagte Zinn. Selbst nach Kriegsende hatten Männer unter dem Paragraph 175 zu leiden. Das Gesetz wurde in der DDR Ende der 50er Jahre, in der BRD erst 1969 entschärft, gestrichen erst im Jahr 1994. Die Opfer wurden unzureichend gewürdigt, so Zinn. Mit dem Film „Die Klänge des Verschweigens“ von Filmemacher Klaus Stanjek könne nun auf den Missstand aufmerksam gemacht werden. Im Herbst soll der Film in die Kinos kommen.
Stanjek zeigt darin eindrücklich, wie die homosexuelle Vergangenheit seines Onkels Wilhelm Heckmann in der Familie verschwiegen wurde. Erst an dessen 90. Geburtstag erfuhr Stanjek von der Haftzeit im KZ Mauthausen. Die Familie hatte geschwiegen. „Der hat es im Lager ja auch an sich sehr gut gehabt“, erzählt Stanjeks Mutter vor der Kamera. Ihr Bruder überlebte aber wohl nur, weil er als Musiker den SS-Mänern nützlich war. Später heiratete Heckmann eine Frau. Dass ihr Mann wegen seiner Homosexualität im KZ war, erfährt sie wohl erst im Film. „Da hat man früher nicht von gesprochen“, sagt sie kurz und knapp und zuckt mit den Schultern. „Sie weiß eigentlich nicht, warum man so einen Film machen muss“, sagte Stanjek nach der Präsentation.
Der Filmemacher beteiligt sich nun bei der Umsetzung der Idee eines Geschichtsparks am Klinkerwerk. Das Gelände steht unter Denkmalschutz. Im Winter wurde dort eine Ausstellung unter freiem Himmel eröffnet, berichtete Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. „Das Areal ist ein realer Friedhof.“ Neun Tonnen Asche von verbrannten Menschen wurden dort gefunden. „Zwischen Einlieferungs- und Todesdatum lagen in der Regel nur wenige Tage“, so Morsch. Für die Rosa-Winkel-Häftlinge sei das Klinkerwerk im Sommer 1942 faktisch ein Vernichtungslager gewesen. Tobias Reichelt
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