
© Andreas Klaer
Von Babette Kaiserkern: Das Tangoherz im Bandoneon
Das erste Babelsberger Open-Air-Konzert am Weberplatz widmete sich dem Tango
Stand:
„O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“ Mit diesem Zitat des Kirchenvaters Augustinus begrüßte Pfarrerin Sabine Müller-Becker am Samstag das Publikum des ersten Babelsberger Open-Air-Konzerts am Weberplatz. Tango sínfonico hieß das Konzert mit dem Collegium musicum und den fantastischen Solisten Lothar Hensel, Bandoneon, und Carsten Intrau, Gitarre.
Dem Dirigenten und spiritus rector Knut Andreas gelang es, scheinbare Gegensätze auf wunderbare Art zu vereinen. Das erlesene Programm war musikalisch nicht nur überaus ansprechend, sondern auch anspruchsvoll und außerdem tanzbar. Dennoch hatte wohl keiner mit solch großem Zuspruch gerechnet. Für 300 Sitzgelegenheiten hatten man gesorgt, am Ende war die gesamte Wiese vor der Babelsberger Friedrichskirche belegt. Zünftig saßen viele Zuhörer auf mitgebrachten Stühlen und Decken. Selbst Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) sprach nicht nur Begrüßungsworte, sondern blieb bis zum Ende, ebenso wie die Potsdamer SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein. Dass das Lobgedicht von Augustinus über den Tanz nicht umsonst war, zeigten hingebungsvolle Tanzpaare aller Altersstufen, die sich auf der kleinen Tanzfläche drängten. Rund achthundert Menschen erfreuten sich an diesem gemeinschaftlichen Musikereignis in einer Sommernacht, wie sie schöner nicht hätte sein können.
Vieles trug zu dem Erfolg bei, nicht zuletzt das abwechslungsreiche Musikprogramm mit Tangos aller Arten von argentinischen Klassikern, Raritäten aus dem symphonischen Tango-Repertoire bis hin zum Tango nuevo. Selbst populäre Ohrwürmer wie der Pariser Tango, der Russische Tango und der „Kriminaltango“ fehlten nicht. Locker und informativ führte der Künstlerische Leiter Knut Andreas durch den Abend.
Mit dem Bandoneon-Spieler Lothar Hensel stand ein Meister seines Fachs vor dem Orchester. Denn das Tangoherz schlägt im Bandoneon. Zumindest seitdem ein deutscher Seemann das von Heinrich Band in Krefeld erfundene Instrument nach Argentinien gebracht hat. Es ist ein höchst eigenwilliges Balg-Instrument mit vielen Knöpfen auf beiden Seiten, das wie ein Klavier gespielt werden kann. Nicht nur beim Solo und beim Duett mit Gitarrist Carsten Intrau erglühten die Töne in Alt- und Sopranlage bis hin zum Winseln im Falsett, langgezogen und klagend, während trockene Bässe und der drängende, ruckhafte Rhythmus harte Kontrapunkte setzen.
Großstadthektik und das Taumeln der vom Wein, vom Tango, vom Leben Berauschten vibrierten durch die herben, irrlichternden Klänge. Melancholie gehört zum Tango einfach dazu, erklärte Lothar Hensel und verdeutlichte dies gleich bei dem einzigartigen „Oblivion“ und dem „Libertango“ von Astor Piazolla. Einst Avantgarde gehören diese Stücke heute zu den Klassikern. Selten zu hören bekommt man Piazollas Concierto doble für Bandoneon, Gitarre und Orchester, ein wehmütiges Werk voll südlicher Klage.
Eine Rarität grub Knut Andreas mit Alfred Schnittkes Tango „Agonie“ aus, auch dieser verströmt viel elegische Traurigkeit. Das Collegium musicum spielte in großer symphonischer Besetzung, erweitert um Klavier, Harfe, E-Gitarre. Die Tangolektionen mit Lothar Hensel brachten gleich einen neuen, knackig trockenen, synkopisch präzisen Klang hervor. Heitere Gegenpole setzten der leicht parfümierte Salon-Tango von Isaac Albéniz mit Sologeige, der Blue Tango von Leroy Anderson und andere Klassiker wie „Ich tanze mit dir in den Morgen“ oder die traditionelle „Cumparsita“, der klassische Abschluss jeder Tangonacht.
Neben Knut Andreas und den engagierten Musikern des Collegium musicums – wahre Amateure und damit Liebhaber im Wortsinn – waren noch zahlreiche andere am Erfolg des Abends beteiligt. Der Seniorchef des Orchesters Ronald Reuter dirigierte ebenso ein paar Stücke wie der Junior Philipp Schüler. Von Jürgen Runge, dem Chef der Hornistenschmiede an der Städtischen Musikschule, gab es einen schmissigen Horntango zu hören.
Und zu jedem Stück drehten sich die Tango-Aficionados. Ganz versunken waren die Paare in ihre schleifenden Bewegungen, sie kreiselten wie ein einziger Körper, erstarrten in eleganten Posen, nach Regeln, die nur sie selber kennen. Nicht nur sie, auch die Zuhörer waren sicher am Ende des dreistündigen Abends dem Himmel etwas nähergekommen.
Babette Kaiserkern
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