Kunstausstellung am Neuen Garten: Das unendliche Spiel
Der Fotograf Thomas Wunsch zeigt seine abstrakten Arbeiten am Neuen Garten
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Reinheit und Schmutz sind in der digital durchkomponierten Welt zu einem seltsamen Geschwisterpaar geronnen. An der aktuellen Ausstellung „Untitled – Ohne Titel“ in der Fotogalerie Potsdam im Treffpunkt Freizeit jedenfalls lässt sich wunderbar die Verschränkung beider Zustände ablesen, auf der, so könnte man sagen, die komplette moderne Kunst beruht.
„Ich verrate nie, wo ich meine Bilder gemacht habe“, sagt Wunsch, der in Wiesbaden lebt – der hessischen Landeshauptstadt und wenn man so will einer Hochburg der Reinheit – und spricht vom Fetisch-Charakter der Kunst. Man muss an sie glauben. An ihre Fähigkeit, Geheimnisse zu erzeugen. Einen Mythos zu erschaffen. Und sei die Form noch so leer. Zu sehen sind in der Galerie am Neuen Garten auf den ersten Blick Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf Leinwand, die Anleihen an den ungegenständlichen Bildern der abstrakt-expressionistischen Kunst der 1950er-Jahre nehmen – Strukturen, Schraffuren, Brüche, nebelartige Schemen. Sie alle verweisen auf keine sofort wiedererkennbaren Gegenstände. Im weitesten Sinne handelt es sich um Schmutz, der die Klarheit einer reinen Fläche stört, vielleicht zerstört, immerhin aber wesentlich komponiert. Das ist das Prinzip. Was anderswo als Installation von Müll Eingang in den White Cube fand, ist hier der Schmutzkeim in Form von fotografischen Falten und Rissen.
Angefangen hat Thomas Wunsch als Mode- und Porträtfotograf und fotografierte unter anderem internationale Berühmtheiten wie Frank Zappa, Yoko Ono, Jeff Koons, Barbra Streisand und Ai Weiwei. Viele seiner Arbeiten waren in verschiedenen internationalen Galerien zu sehen. Am bekanntesten wurden die Porträtfotos durch die Zusammenarbeit mit dem Münchner Musiklabel ECM, das zahlreiche seiner Fotografien als Plattencover verwendet.
Seit gut 15 Jahren widmet er sich ausschließlich der abstrakten Fotografie und ist allein in diesem Jahr an 16 Ausstellungen beteiligt. In Deutschland wird er von drei Galerien vertreten. Nach Potsdam kam er infolge einer Einladung, die wohl hauptsächlich auf Ralph Gräf, einen der in der Galerie am Neuen Garten vertretenen Fotografen, zurückgeht.
„Ich mag Ihre Arbeiten nicht“, sagte eine Chinesin während eines mehrwöchigen Arbeitsaufenthalts des Wiesbadeners im Land der einstigen Kulturrevolution. Die Chinesen, heißt es immer, mögen Kopien, originalgetreue Abbilder – sie sind dort hoch angesehen, Ausdruck einer exklusiven artifiziellen Fähigkeit. Das westeuropäische Identitätsverständnis zielt dagegen oft auf das Abwesende, etwas, das nicht sofort mit einem unverwechselbaren Begriff des Realen zu versehen ist. Wunsch schoss in China gut zehntausend Bilder. Auf einer späteren Reise nach Südkorea waren es grob noch sechstausend. Jeweils benötigte er dafür gut anderthalb Jahre, um die Aufnahmen zu sichten und am Ende vielleicht 50 Bilder übrig zu lassen, die er für wertvoll genug hielt, um sie zu bewahren.
Der Rest wird gelöscht, geht unwiderruflich verloren. Das eröffnet den ökonomischen Blick auf den ungeheuren biografischen Verschleiß, der hinter den rissigen Oberflächen wütet. Thomas Wunsch entblößt sich als Pedant der mikroskopischen Spurensuche, dem, wie die „New York Art Review“ schrieb, auffällt, was anderen nicht auffällt. Jedes einzelne Bild muss streng zwei Kriterien erfüllen: Die Elemente sollen in ganz bestimmter Weise funktionieren. Und die Farben müssen sich adäquat dazu verhalten. In die Schwarz-Weiß-Melange schmuggelt sich ein Blauton, erst auf den zweiten Blick erkennbar. Und so gerät diese Fotografie in die Nähe zur Malerei, die mit ihren Oberflächenspielen ein schier endloses Reservoir der Deutungsmöglichkeiten anzapft, bei dem der Betrachter nie sicher ist, aber unendlich viel Zeit mit dem Versuch verbringen kann, die Bilder zu entschlüsseln. Die Ausstellung ist bis zum 7. Juli in der Fotogalerie am Neuen Garten 64 zu sehen, geöffnet Montag bis Freitag, 8 bis 21.30 Uhr
Ralph Findeisen
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