
© Manfred Thomas
Kultur: Das Unsichtbare im Sichtbaren
Im Kunstraum offenbart der gebürtige Potsdamer Mike Bruchner seine Kunst in „Bruchstücken“
Stand:
Um es gleich mal vorweg zu sagen: Der Titel dieser neuen Ausstellung in der Galerie Kunstraum bezieht sich nicht ausschließlich auf Mike Bruchners Namen. „Bruchstücke“ kann auch Gefundenes oder Aufgehobenes sein. Oder abgebrochene Gedanken. Viele basteln sich ja heute ihre Fragmente aus Allerweltszeug zusammen, weil der Mut zur Vollendung fehlt, der Mut zum Geist. Bei dem gebürtigen Potsdamer ist das anders, wie so vieles bei ihm. Vielleicht gelingt ihm die Perfektion nicht immer, aber er sucht, er will sie. Mike Bruchner wagte es nicht nur, statt irgendwelcher Dinglichkeit den Menschen abzubilden, er begehrt – als Mann des Visuellen – im Sichtbaren auch noch das Unsichtbare. Und so sieht man auf den sechs großen und acht kleinen Tafelbildern auch Frauen oftmals etwas suchen. Ada sucht im Spiegel sich, Aina blickt konzentriert in die Ferne, Aglaia hat ihr Theaterglas so doll ans Auge gepresst, dass blaue Ringe entstanden sind. Was für Namen! Diese Damen scheinen ein gemeinsames Vorbild zu haben, des Malers geliebter Lebensmensch Tina vielleicht, die bei Kiel zu Hause ist, wie er selbst. Unsichtbares finden und wieder verbergen ist seine Spezialität. Wie? Er verbannt es einfach außerhalb des Bildrahmens. Privat bleibt privat. Blick-Winkel und Augen-Spots im Wortsinn zeigen der Neugier wenigstens die Richtung des Ausgeschlossenen an. Lauernder Blick bei „Fahndung“, verträumt „Aruna“. Bei „Umschau“ wird großer Wert darauf gelegt, wo der Blick auf die Halbnackte endet – am Hals, vom Scheitel aus gesehen!
Trotz ihres gebremsten Temperaments sind diese Bilder in Komposition und Farbgebung hier und da geradezu meisterhaft geraten. Den Sprungturm mit dem sprechenden Namen „Rette mich“ im Schwimmbad kann nur ein Künstler so zeigen, in „Chapeau!“ ist die Farbgestaltung wunderbar, die Sujetausführung weniger. Bruchner hat noch den Willen, seinen Werken durch mehrere Farbschichtungen Tiefe zu verleihen. Er arbeitet mit Ölspachtel und Leimfarbe, worin er seine Linien schabt. Gelegentlich scheint der Rupfen darunter durch. Die Bildkonzeption wirkt oft grafisch. Farblich favorisiert er gedeckte, verwässerte Töne um Braun, und Altrosa. Reine Farben meidet er eher. So entsteht ein herrlich frisches Bildwerk mit der Patina von gestern. „Bruchstücke“ ist ein Gastspiel, keine Heimkehr nach Potsdam.
Der Maler hat sich auch an der „Objektkunst“ versucht. Gleich rechts beim Entree ist eine Wand mit runden Holzschilden und einer blauroten Ampel gestaltet. Sie haben verschiedene Farben und einen Spitz aus echten Matroschka-Figuren inmitten. Das können doch nur die Schilde der trojabelagernden Achajer sein, oder? Ein zweites Ding im Parterre sieht unendlich schwarz aus. Es entstand sozusagen als Pendant zum Sprungturm im Bade, nachdem dort Feuer einbrach. Pechschwarze, verkohlt wirkende Reste, vielleicht das Ende aller Sprünge, aller Kultur. So ähnlich auch im Vorderraum, wo ein kleiner Tisch und sieben kleine Stühle aufgestellt sind. Diese Installation erinnert sowohl an die sieben Zwerge als auch an ein Klassenzimmer der Grundschule. Auch hier ist die Tafel davor kulturleer, vollgepackt dafür der Tisch mit Folianten, Skizzensammlungen und Unikaten, die Mike Bruchner als Buch-Illustrator gestaltet hat, „Hans im Glück“ oder Sebastian Brants „Narrenschiff“ zum Beispiel. Man darf gern darin blättern, doch mit Vorsicht!
Nicht zuletzt gehören der klug bedachte Bilderfächer mit dieser oder jener Lebensempfehlung und ein hervorragender Katalog zur Ausstellung. Und ein paar unsichtbare Sprüche, wie sie dem Künstler bei der Arbeit bruchstückhaft einfielen: „!Tatsächlich! Meine Wirklichkeit ist fantastisch. Meine Aussicht atemberaubend. Meine Freiheit fürwitzig. Mein Auftakt ohne Beispiel! Jetzt Du!“
„Bruchstücke. Malerei - Objekte - Installation“ von Mike Bruchner noch bis zum 15. Dezember in der Galerie Kunstraum, Schiffbauergasse, mittwochs bis sonntags, 12-18 Uhr
Gerold Paul
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