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Kultur: Das Urgestein

Gerhard Polt mit „Circus Maximus“ im Nikolaisaal

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Groß und massiv, meist die Hände in den Hosentaschen und mit griesgrämigem Gesicht, steht er da, berichtet in bayerischer Mundart über menschliche Befindlichkeiten und karikiert dabei trefflich und mit Vorliebe die kleinbürgerlich rückständigen Eigenarten seiner Landsleute. Mit einer unvergleichlichen Bühnenpräsenz gesegnet ist der Oberbayer Gerhard Polt seit vielen Jahrzehnten als einer der wortgewaltigsten Kabarettisten Deutschlands bekannt. Zum ersten Mal in Potsdam, gastierte der inzwischen 70-Jährige mit seinem aktuellen Bühnenprogramm „Circus Maximus“ am Sonntagabend im ausverkauften Nikolaisaal und begeisterte zwei Stunden lang sein Publikum.

Polt braucht weder Manuskript noch Einleitung. Meist nuschelt, stammelt, kichert oder schweigt er sich auch einfach in die vielen Rollen scheinbar braver Spießbürger hinein, um dann schrittweise all die Ressentiments und den Stumpfsinn zu entlarven, die sich hinter deren Gerede verbergen. Gern und vorzüglich imitiert Polt die ziellos palavernden Klugscheißer. Man sieht sie vor sich, wie sie in Trainingsanzügen, mit Bierwampen in den Wirtshäusern sitzen, über ihr Geschichtswissen monologisieren und muss herzlich lachen, wenn am Ende etwa die Erfindung des Wiener Schnitzels durch die Bayern zum welthistorischen Ereignis aufgebläht wird. Mit der gleichen Ernsthaftigkeit wird dann Hitler zum Zechpreller erklärt oder von der Schlacht bei „Tarrafalgar“ berichtet. Und es geht um die Zeit, als man die Wälder noch rodete, um genug Holz für die Hexenverbrennung zu haben, und zwar trockenes, denn „die wollten die Hexen ja net räuchern“. Wenn Gerhard Polt obendrein noch schimpft und sich in Rage grantelt, feixt das Publikum noch mehr. Herrlich echauffiert er sich darüber, was „heutzutage auf unseren Straßen herumpommelt“, klagt er über die vor sich hin „karnickelnden“ Nachbarn, verflucht er brüllend so manchen „Hanswurscht“. Er imitiert den Biedermann, der gerne Holzfiguren schnitzt und nachts mit der Schrotflinte auf Jugendliche schießt, die sich an „Gummibärli-Automaten“ zu schaffen machen. Und er wundert sich über den Begriff Toleranz, der ja von „früher“ komme: „Wenn ein Delinquent die Folter überlebte, war er tolerant.“

Dabei jedes Mal beeindruckend sind die scheinbar frei von der Leber weg geplauderten, doch eigentümlich zerhackten und endlos langen Satzkonstruktionen, in denen ganze Nebensätze glucksend verschwinden können und nur als bayerische Restsinnvokabel „gäh“ wieder auftauchen. Es ist ein Vergnügen und ein Akt besonderer Komik, wie Polt auf diese Weise vermeintlich mühelos fabuliert, sich aber mühsam durch seine Gedanken quält und dabei unter den Lachsalven des Publikums die absonderlichsten Querschläger setzt. So tummelt sich ein Haufen abgebrochener Anekdoten etwa über das Studienfach Bootsverleih, die Solidarität, die vor allem preiswert sein muss, und die Thailandreise, die selbstverständlich nur aus kulturellen Gründen ansteht, allesamt innerhalb einer vorweihnachtlichen Geschichte, in der Glühweintrinker mit „Sauft’s des, ihr Deibel!“ angeschnauzt werden.

Auch im Seniorenalter hat der Großmeister des bayerischen Kabaretts nichts von seiner Frische und Schärfe verloren. Er steht da, redet laut und breit daher und lässt die Pointen krachen. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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