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Kultur: Das Wandern ist des Wittigs Lust

Schuberts „Schöne Müllerin“ bei der Sonntagssoiree im Alten Rathaus

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Schuberts „Schöne Müllerin“ bei der Sonntagssoiree im Alten Rathaus Unermüdlich wirkt der Verein zur Förderung musikalisch-literarischer Soireen in Potsdams Musengefilden, damit auch das unscheinbarste Pflänzchen aus dem Reiche des Tonsatzes einen Ort finde, wo es sich angemessen entfalten kann. Wieder einmal ist es der Theatersaal im Alten Rathaus, in dem sich ein zahlenmäßig kleines, dafür aber sachverständiges Publikum eingefunden hat, um dem Vortrag von Franz Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ zu lauschen. Thomas Wittig, Potsdams bekannter Sänger, vertraut dabei ganz auf die Ausstrahlungskraft seines lyrischen Baritons. Begleitet wird er von Anita Keller, laut Programmzettel eine ausgewiesene Kennerin der Materie des Korrepetitierens. Was Wilhelm Müller einst für ein locker gefügtes Liederspiel dichtete, wird nun unter der textordnenden und komponierenden Hand von Schubert zu einem innerlich verwobenen, einheitlich gestalteten, dramatisch geprägten Handlungsgeschehen. Liebeserlebnis und Naturempfinden gehen dabei Hand in Hand. Unaufhörlich verändern sich Atmosphäre, Stimmungen, Beleuchtung. Der Poesie der Worte entspricht die der Noten. Beides zu entdecken und adäquat auszudrücken, bedarf subtilster Gestaltungskunst. Würde Thomas Wittig diesen Anforderungen entsprechen? Zunächst einmal lässt er keinen biedermeierischen Tonfall aufkommen, was schon die „halbe Miete“ für den Erfolg darstellt. Er stimmt frisch und stimmforsch „Das Wandern“ an. Geradeaus geht der Weg, kraftvoll ist sein Schritt. Dabei wird er energisch an die (Klavier-)Hand genommen. Anita Keller ist ganz von der Stimmung des zügigen Wanderns durchdrungen, sodass sie auch beim „Halt!“ den Forteanschlag liebt und ihren Part zur tosenden Kaskade anschwellen lässt, der eigentlich nur für ein munteres, über Steine sprudelndes Bächlein gedacht ist. Während es den Müllerburschen lyrisch und stimmweich zur Müllerin zieht („Danksagung an den Bach“), gerät die Tastenarbeit auf dem Förster-Flügel ziemlich unpoetisch. Anschlagsnuancen sucht man vergebens. Wie sich denn alsbald herausstellt, dass das Ausforschen feinster Seelenregungen des Sängers Stärke auch nicht ist. Er liebt die offenen Vokale, was den Vortrag einerseits locker, leicht und verständlich macht, andererseits aber auch etwas flach. Stimmfärbungen bleiben einander ähnlich und ein natürlicher Erzählton auf der Strecke – egal, ob es sich um lyrische Betrachtungen oder erregte Ausbrüche handelt. So wirkt weitgehend undifferenziert und vordergründig, was nach Ziselierung des Wort-Ton-Verhältnisses verlangt. Wie glaubhaft er Liebesbekundungen vorzutragen versteht, beweisen die emphatische „Ungeduld“ und das besitzergreifende „Mein!“. Viel von Seelenkunde legt er in die folgenden vier Lieder. Zufrieden, geradezu nachsinnend singt er die „Pause“. Nachgerade fröhlich kündet der Wanderbursche vom „Grünen Lautenbande“, wobei sich die Farbe für ihn zunächst mit Natur verbindet. Sehr überzeugend, wie Thomas Wittig das Naturgrün mit dem Rockgrün eines „Jägers“ in Verbindung bringt. Diesem tritt er zornig und platzverweisend entgegen, dann brechen ihm die Emotionen von „Eifersucht und Stolz“ unvermittelt auf. Die Stimmungsänderung vollzieht sich abrupt: entsagungsvoll wird die liebliche Farbe beschrieben, larmoyant die Betrachtung vom „Müller und dem Bach“ angestellt. Gleichsam todessehnsüchtig klingt „Des Baches Wiegenlie“". Hier hat Thomas Wittig endlich zu schlichter, total glaubhafter Gestaltung gefunden. Die „ganze Miete“ hat er dennoch nicht zusammen bekommen. Der heftige Beifall tröstet ihn darüber hinweg. Peter Buske

Peter Buske

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