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Von Peter Buske: Das Zwerchfell kringelt sich vor Vergnügen

In der proppevollen „fabrik“ trifft Tanz auf Klassik – Spielwitz inklusive

Stand:

Ein Kerl wie ein Baum. ER ist auf Annäherung aus – zu einer sich zunächst zierenden zierlichen SIE. Umtänzelt sie auf Zehenspitzen, schwingt die von einem Saunatuch umhüllten Hüften wie ein balzender Gockel. Doch die federleichte Begierde seiner Wünsche entgleitet ihm immer wieder. Als ER (Robert Glumbek) SIE (Yvonne Ng) fängt, umschlingt und hochhebt, was oft geschieht in dieser knapp zwanzigminütigen Tanzszene von Choreograph Tedd Robinson, zappelt sie in seinen kräftigen Armen. Annäherung und sich Entziehen – ein unentwegtes Spiel zwischen den Geschlechtern: erotisch prickelnd, witzig, ausdrucksstark, wie soeben erfunden. Beide tanzen, wie später auch alle anderen, barfuss. Dazu erklingt vom Band das Bachsche a-Moll-Violinkonzert. Den Allegro-Ecksätzen ist mit verwirrenden Hüpfarbeiten trefflich entsprochen. Im Mittelsatz sucht ER mit konvulsivischen Zuckungen seines Oberkörpers weitere Aufmerksamkeit zu erlangen. Es funktioniert, denn SIE sendet ebensolche Zeichen an ihn aus. Der Bann ist gebrochen und die pure Lebensfreude bricht dem „Saunapaar“ schließlich aus allen Poren. Doch nicht nur die Beiden vom kanadischen „Tiger Princess Dance Project“ aus Toronto kommen an diesem Abend arg ins Schwitzen, sondern auch weitere Duos, die ebenso für viel Furore beim Auftakt des diesjährigen „fabrik“-Projekts „Tanz trifft Klassik“ sorgen.

Die Gastgeberstadt ist mit der „Oxymoron Dance Company“ vertreten, die eine durchweg tänzerische Version von Schuberts d-Moll-Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ vorzeigt. Eine düster-dramatische, leidenschaftlich erregte Grundstimmung bestimmt die vier Sätze. Um die Geschichte einer verlorenen Liebe zeit- und hautnah zu erzählen, hat Christoph Kozik für seine per Band eingespielte Bearbeitung die Schubert-Klänge zunehmend mit grellen Geräuschen, dumpfem Kanonendonner und Schüssen „angereichert“. Unkonventionell auch die szenische Ausführung, bei der sich die diversen Tanzstile mischen.

Nachdem man die zu schwach beleuchteten Posen des Paares auf dunkler Bühne in die Stille hineingehorcht, auf einen leeren Stuhl geblickt und sich so seine Gedanken gemacht hat, setzt die Musik ein. Aus dem Off fragt fordernd der Protagonist (U-Gin Boateng): „Bist du da, bist du noch da?“ Als die Geliebte (Agnes Wrazidlo) erscheint, glaubt er an deren echte und wahre Liebe. Er sieht sich getäuscht, denn die Dame spielt nur mit seinen Gefühlen, überlässt ihn seiner Verzweiflung. Wie im Leben, wo sich auch die Frage nach der Wahrhaftigkeit großer Gefühle in einer von zunehmender Oberflächlichkeit geprägten Zeit stellt. Erinnerungen suchen ihn heim.

Die gefühlsintensiven, von enormer Körperbeherrschung geprägten Aktionen von Hip-Hop-Ass U-Gin deuten die Musikstimmungen dramatisch aus. Für zusätzliche Spannung sorgt auch hier das Aufeinandertreffen verschiedener Ethnien.

Mit seinem Liedzyklus „Winterreise“ liefert Schubert auch Sunju Kim und Jae Won Oh (Tanztheater Bremen) die Inspiration für ihren, von Emanuel Gat choreographierten Beitrag „Winter Voyage“. Nach musiklos-pantomimischem Entree erklingt „Der Lindenbaum“, dem die „Wasserflut“, schließlich „Der Leiermann“ folgen. Beide Tänzer sind in Kaftane gehüllt, führen ihre assoziationsreichen Bewegungsabläufe größtenteils synchron vor. Sollen sie so auf den monologischen Charakter der Lieder verweisen?! Manches Bewegungsvokabular gleicht fernöstlichen rituellen Tanzzeremonien, manche Geste der Taubstummensprache. Tänzer wie Publikum verstehen einander prächtig.

Auch die Deutschlandpremiere der geradezu irrwitzig in Szene gesetzten Farce „Barroco“ der Lyoneser Truppe „Association Woo“ wird heftig bejubelt. Hier ist’s die von Josselin Varengo (E-Gitarre, Schlagzeug) gespielte Livemusik nach Kompositionen des Jazzpianisten Dave Brubeck. Ihren Rhythmusvorgaben geben sich die Tänzer Ennio Sammarco und Dominique Duszynski mit improvisatorischem Gleichmut hin. Mit viel Bodengymnastik und Entspannungsliegen. Später umkreist man sich lauernd, dreht jeder für sich auf der Stelle bis schließlich ein Gleichklang der Schritte erreicht ist. Die enervierenden Rhythmen des Musikers halten sie auf Trab. Doch wie reagieren sie, als ihm ein Schlegel aus der Hand fliegt? Er erhält sie zurück. Atemanhaltende Stille. Nach einer langen Weile des stummen Blickeringens greift Varengo zur Gitarre, beginnt das Bachsche Ricercare zu zupfen, zu dessen gläsernen Klängen die Tänzer eine köstliche Parodie eines klassisch-akademischen Pas de deux hinlegen, dass sich das Zwerchfell vor Vergnügen kringelt.

Peter Buske

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