zum Hauptinhalt

Kultur: Dem Jugendzimmer entwachsen Sage – das sind sechs Musiker mit verspieltem Pop, die einiges vorhaben

-

Stand:

Von Dirk Becker In Kinderzimmern wird Zukunft gedacht. Schon immer. Ob Feuerwehrmann, Kosmonaut oder Tierarzt, Perspektiven erscheinen den Kleinsten so einfach wie logisch. Die Erkenntnis, dass mit den Jahren diese Perspektiven oft pragmatischer werden, der geträumten Höhenflug ins All dem Baugerüst weichen muss, ist die Summe schlichter Selbsterfahrung. Doch manchmal bleibt mehr als nur ein wenig Traum aus Kindertagen übrig. Bei Tobias Mörtl war es die Musik, der Traum vom Starruhm, geboren im Kinderzimmer. Das Wort Kinderzimmer möchte er doch lieber durch „Jugendzimmer“ ersetzt wissen. Dem Spielalter entwachsen, begann er eigene Ideen am Klavier zu probieren und auf Kassetten aufzunehmen. Sein Bruder Sebastian nahm die Gitarre dazu. Damals, so erklärt der 23-Jährige heute, habe er schon die anderen Instrumente im Kopf gehabt. Solokarriere war also nie geplant, ein Bandgefüge musste her. Heute sind sie sechs Musiker und unter dem Namen Sage, nach dem Englischen für Salbei, vereint. Das Wachstum begann mit Jessica Stelter. Anfang 97 brachte Bruder Sebastian sie als Sängerin mit ins Kinderzimmer, Pardon Jugendzimmer. Ein Jahr später kam der zweite Gitarrist André Bittmann dazu. Sebastian war es, der auch weiterhin auf Talentsuche ging, während Tobias an den Songideen feilte. Vor zwei Jahren war die Band dann komplett. Philipp Stoffers am Bass und Veit Exner, mit seinen 27 Jahren als „alter Hase“ mit gehöriger Live-Erfahrung, am Schlagzeug. Das Jugendzimmer war dieser Masse nicht mehr gewachsen, wahrscheinlich auch nicht die Geduld der Eltern und Nachbarschaft. Es begann die, für diese Stadt fast schon aussichtslose Suche nach einem Proberaum. Bands gibt es in Potsdam wohl genug. Es könnte vielleicht noch mehr geben, würde es nicht an den nötigen Garagen für die musikalisch-lärmende Selbstentfaltung fehlen. In der Waldstadt teilten sie sich anfangs mit mehreren Bands einen Raum. Ein katastrophaler Zustand. Die Vorbereitungen, wie Schlagzeug aufbauen, waren in der kurz bemessenen Spielzeit inbegriffen. Für die eigentliche Probe blieben dann oft weniger als 30 Minuten, während vor der Tür schon die Nächsten warteten. Veränderung wurde nötig. Es kam die Suche nach einem besseren Übungsraum, eine Suche, die eine Zwangspause von gut einem Jahr forderte. Seit einigen Monaten haben Sage nun einen Proberaum außerhalb von Potsdam. Mit nur einer Band müssen sie diesen teilen und haben jetzt die Möglichkeit, zweimal in der Woche zu üben, wenn es sein muss auch mehrmals. Sage arbeiten hart an sich. Da ein großer Teil der Musiker studiert, nutzen sie die Semesterferien, um sich auf das kommende Finale im Lindenpark vorzubereiten. Auf großer Bühne zu spielen, mit guter Technik und das vor hoffentlich zahlreichem Publikum, das sei schon Ansporn genug, erklärt Tobias. Diesen Auftritt verstehen sie als Chance. Und natürlich wollen sie auch gewinnen. An Selbstvertrauen fehlt es diesen jungen Leuten nicht. Dass dieses Selbstvertrauen keine Selbstüberschätzung ist, weiß man spätestens, wenn man die Musik der Sechs gehört hat. Tobias ist der musikalische Kopf von Sage, obwohl er das so direkt nicht zugeben würde. Beeinflusst von Bands wie Suede und Pulp, den Extravaganten des frühen Britpop, liefert er ein flächiges Grundgerüst mit flirrendem Keyboard oder leicht jazzigem Klavierspiel. Die Rhythmusgruppe um Gitarrist André und Bassist Phillip, die im hauseigenen Plattenschrank die härtere Fraktion horten, verhindern mit gedämpftem Druck das Abtriften ins allzu Seichte. Doch Farbe bringt erst Sängerin Jessica ins Spiel. Sage haben begriffen, dass eine Band mit ihrem Sänger, in diesem Fall Sängerin steht und fällt. Der klare, dominante Gesang, der sich bewusst den Harmonien verweigert und gekonnt durch schräge Töne schlittert, ist spannungsgeladener Lichtpunkt. Kurz denkt man an die Cardigans. Doch Sage machen es einem mit ihren Liedern wie „Good Bye“, „Vanilia“ oder „J.B.“ nicht leicht mit Vergleichen. Die Sechs suchen musikalische Eigenständigkeit. Und das sie dabei gekonnt vorgehen, das ist auch schon anderen aufgefallen. An die 30 Konzerte haben Sage mittlerweile gespielt. Sie haben jede Chance genutzt und sind auf Veranstaltungen aufgetreten, die man sich so vorstellen muss, wie sie heißen: „Rock im Kuhstall“ oder „Sabinchenfest“. Sie haben vor einem Auftritt sogar die Bühne aus alten Traktorreifen und Spanplatten zusammen gezimmert, um dann vor Metallfans ihren verspielten Pop zu geben. Im vergangenen Jahr sind sie der Treuenbrietzener Band Blind Man''s View aufgefallen und haben in diesen Förderer gefunden. Nach dem Saturday Fight Club Finale wollen Sage noch Konzerte im Oktober geben, um dann an den Aufnahmen ihrer ersten CD zu arbeiten. Das Ziel ist nicht mehr, wie in Kindertagen, der große Starruhm. Aber einen gewissen regionalen Bekanntheitsgrad und vor allem in Berlin strebe man schon an, so Tobias. In zehn Jahren immer noch Musik zu machen und das als „local Heros“, können sich die Sechs gut vorstellen. Gut möglich, dass bei Sage daraus mehr wird als nur ein kleiner Kinderzimmertraum.

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })