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Auch Gewalt gehört dazu: Veronika Veits Skulpturen spiegeln wie in einem Brennglas Stimmungen aus dem Hier und Heute.

© Manfred Thomas

Von Richard Rabensaat: Dem Leben abgeschaut

Veronika Veits Miniaturisierung des Alltäglichen im Kunsthaus Potsdam

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„Rollo“ schaut mit einer Mischung aus Melancholie und Erstaunen in die miniaturisierte Welt von Veronika Veit. Er sitzt in Unterhose und mit einem schwarzen Jackett bekleidet auf einem Lattengestell. Die „Frau im Glitzerkleid“ ihm gegenüber hat die Hände in die Hüften gestemmt. Sie sieht den jungen Mann nicht, denn ihr Blick ist in den Himmel gerichtet. Es ist kein Zufall, dass Veronika Veit ihre Figuren häufig mit Namen benennt. Denn die etwa ein Meter großen, ausnahmslos jüngeren Männer und Frauen, die Veronika Veit in ihrer aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Potsdam zeigt, erscheinen in ihrer jeweiligen Individualität vertraut.

Sie tragen Jogginganzüge, Netzstrümpfe, handgenähte Lederschuhe, Jacketts. Dass sie aus der etwas verunsicherten „Mitte der Gesellschaft“ stammen, ist klar erkennbar. Meist verharren sie in unspektakulären Posen. Im Zentrum des Raumes allerdings prügelt ein Schläger im schwarzen Anzug auf einen Jungen im Trainingsanzug ein. Der liegt am Boden und hat bereits seine Schuhe verloren. Auch Halil, Edin, Paolo und Ronald bearbeiten sich gegenseitig mit den Fäusten. Die beiden Schlägereien stammen aus dem Jahr 2009. Veronika Veit lebt und arbeitet im München und hat auch dort studiert. Im vergangenen Jahr prügelten dort drei Jugendliche einen Mann zu Tode, der sich mutig einem Raubüberfall auf andere, die in der gleichen U-Bahn mitfuhren, entgegengestellt hatte.

Die Ensembles bedürfen keiner Erklärung. Es leuchtet unmittelbar ein, dass Soundboy Björn oder Groupie Sandra dem Leben abgeschaut sind. Individuen werden sie auch durch bis ins Kleinste liebevoll ausgeführte Details. „DJ Manfred“ trägt sorgfältig handgenähte Schuhe. Das weiße Hemd des „Mannes in Lederhose“ ist ordentlich gebügelt.

Eine Nachahmung des Alltäglichen sind die Figuren dennoch nicht, das verhindert ihre Miniaturisierung. Sie sind kleiner als das Leben, aber spiegeln wie in einem Brennglas Befindlichkeiten, Stimmungen und Atmosphären aus dem Hier und Heute. Den Verfremdungseffekt, der mit der Größenverschiebung eintritt, haben bereits andere Künstler entdeckt und genutzt. Zudem verblüffen die Ensembles aber durch eine Detailgenauigkeit, mit der schon John de Andrea und Duane Hansen und in etwas anderer Weise auch Stephan Balkenhol arbeiteten. Nicht der spektakuläre Effekt, sondern der Blick für das Wesentliche zeichnet die Figuren der 42-jährigen Bildhauerin aus, die unter anderem den Bayerischen Staatsförderpreis für bildende Kunst erhalten hat.

Nach der ersten Überraschung schaut der Betrachter genauer auf sein unerwartet kleines Gegenüber und erkennt, dass ihm Veit den Blick öffnet für die Wertschätzung des Alltäglichen. Mit der Darstellung völlig banaler Zeitgenossen schafft Veit im Ausstellungsraum ein Ensemble, in dem sich mit der Prügelszene, dem Musik hörenden Mädchen und anderen typischen Figurenkonstellationen eine Verdichtung sozialer Spotlights einstellt. Im Kopf des Betrachters entspinnen sich unweigerlich Geschichten, auch wenn er wie bei Alice im Wunderland als Riese zu den Figuren hinabblickt.

Erst nachdem sie einige Jahre häufig absurde Installationen gezeigt hatte, drängten sich Figuren in die Ensembles von Veronika Veit. War es früher ein blaues Handtuch, das im Abfluss verschwand, so ist es heute ein Mechaniker, der vergebens eine Rolltreppe zu bändigen versucht, deren Band sich ihm wie eine Schlange entgegen windet. Veit schildert ihr und dem Betrachter Vertrautes. Sie verrückt dabei aber ein wenig die Perspektive, so dass die existenzialistische Absurdität der Realität hinter der sorgfältig inszenierten Fassade aufscheint. Wenn sich eine Tür ihrer kleinteiligen Installation „Flur“ öffnet, lodert dahinter ein flackerndes Feuer.

„Mezzanine“ im Kunstverein/Kunsthaus Potsdam, Ulanenweg 9, noch bis zum 8. Mai, mittwochs von 11 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 12 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung unter Tel.: (0331) 200 80 76

Richard Rabensaat

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