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Kultur: Dem Raubfisch ins Maul geschaut

Die neue Kunstmeile zwischen Villa Schöningen und Kunstraum bereichert Potsdam

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Drei Köpfe hat der Hund. Drohend steht er im Garten der Villa Schöningen. Gegossen in Bronze, mannshoch, ausgestattet mit sechs Beinen und einem knochigen Schwanz. Stella Hamberg hat das Fabelwesen geformt und daraus die pechschwarze Statue gegossen. Der Höllenhund Zerberus, ein mythisches Wesen aus der griechischen Unterwelt, das den Eingang zum Hades, dem Reich der Toten bewacht, scheint wiederauferstanden zu sein. „Meine Werke sind offen für Interpretationen“, sagt sie. „Natürlich erzählen sie Geschichten, aber das steht nicht im Vordergrund.“

Im Kunstraum des Waschhauses, wo der andere Teil der mit der Villa Schöningen als Doppelausstellung angelegten Schau eröffnet wird, fletscht ein Hai die weit aufgerissenen Zahnreihen. In einer Zeit, in der dem Raubtierkapitalismus ganze Industriezweige wie die Stahl- oder Textilindustrie zum Opfer fallen, und sich im Mittleren Osten die Völker gegenseitig zermetzeln, liegen Interpretationen des Raubfisches, die sich nah am Zeitgeschehen bewegen, nahe.

„Superspannend finde ich den schmalen Grat zwischen Pathetik und Groteske“, beschreibt Hamberg ihre Arbeit. Der schmale Grat. Der ist es, wo die Kunst aufscheint, nicht nur bei Hamberg. Nicht die wohlvollendete Form ist es, nicht die meisterhafte Beherrschung von „Spannung und Gegenspannung“ in einer Figur, auf die Hamberg beim Betrachten der Ausstellungsstücke hinweist, sondern der Punkt, an dem das Handwerk und die Illustration einer Idee umschlägt. Kunst als überzeitliche Darstellung eines Gedankens, eines Gefühls, das sich eben nicht anders als mit einem Bild oder einer Skulptur beschreiben lässt. „Wenn man zwischen den Extremen balanciert, dann löst sich die Dualität auf. Es kommen vielschichtige Ebenen in die Sache hinein. Das ist es, was mich interessiert“, so Hamberg. Bei jeder Werkgruppe fände sie einen neuen Duktus, einen anderen bildhauerischen Ansatz.

Zerrupfte Oberflächen, aufgerissene Mäuler, knochig wirkende Körperextensionen.

Es sind gequälte Wesen, die dunkelfarbig den gleißend hellen Ausstellungsraum bevölkern. Bewundert werden sie von Besuchern, die zu großen Teilen aus der Bundeshauptstadt den Weg nach Potsdam gefunden und offensichtlich auch ein Kaufinteresse an den ausgestellten Plastiken haben. Männer, die Jacketts mit kleinkariertem Karo und ordentlich geknüpfte Seitenkrawatten tragen, begleiten elegant gekleidete Frauen. Die beiden Galeristen der Künstler sind auch gekommen. Im maßgeschneiderten Anzug der eine, mit legerem T-Shirt, betont underdressed, der andere.

Glatte, jugendliche Haut spannt sich auch über einen bronzenen Frauentorso, der am Boden kauert, kopflos, ohne Gliedmaßen. Das Glatte, aber auch die erkennbar geknetete Oberfläche, die gequälten Wesen, der Kampf mit dem Material und der Form, all das ist ganz klassische Bildhauerei. Hamberg setzt sich souverän über Diskurse hinweg, die eigentlich den Gegenstand am liebsten ganz aus der Bildhauerei verschwinden lassen würden. „Natürlich spielt in meine Arbeit die ganze Bildhauereigeschichte mit rein. Aber was mich interessiert, sind die leichten Verschiebungen, die es so eben nicht gab“, erklärt Hamberg. „Die Absonderlichkeiten, die dem ganzen Begriff dann hoffentlich auch wieder ein ganz neues Leben einhauchen“, darum gehe es ihr.

Ziemlich viele Absonderlichkeiten finden sich auch in den Werken von Tal R, die in der Villa Schöningen zu sehen sind. Insgesamt 39 Skulpturen aus verschiedene Familien aus den vergangenen 15 Jahren hat der Künstler in der Villa versammelt. Jede der ausgestellten Plastiken bemühe sich mit allen Kräften, eine „Figur“ zu werden, eine Geschichte zu erzählen, so Tal R. Er wolle eine Atmosphäre schaffen, die sei, „als würde man durch einen Traum gehen“. Das gelingt. In den abgedunkelten Räumen der Villa stehen dicht beieinander grüne Wesen, die nur aus Kopf und Tentakeln bestehen, silbern lackierte Knuddelgebilde, die ihre Herkunft aus einer nicht näher erklärten Formverwirrung nicht verleugnen, langnasige Giacometti-Köpfe und hohläugige Nachtmahre.

Für manche sei es ein Albtraum, für andere ein ganz normaler Traum, was er dort geschaffen habe, sagt der Bildhauer. Die Erzählung sei ihm wichtig, das Narrativ, die Geschichte, die sich aus den verschiedenen Figuren im Kopf des Betrachters forme. Nie gehe es ihm um das Material, immer um das Spiel mit den Ideen. Nie haben die Formen Augen oder Ohren, nie werden es reale Wesen. „Aber sie wollen alle Figur werden“, behauptet der dänische Künstler. Auf ihre ganz eigene Weise seien die Skulpturen perfekt, auch wenn ihnen Gliedmaßen fehlten, sie unvollendet wirken würden. Denn Bildhauerei, die Formfindung, das sei immer ein Prozess.

So treffen in den beiden Ausstellungen Alptraumwelten aufeinander. Das Interesse daran, sich nicht im Abstrakten zu verlieren und mit der erkennbaren Figur Formwelten und Ideen sichtbar zu machen, die sich nur über das gestaltete Material visualisieren lassen, verbindet die deutsche Künstlerin und den in Israel geborenen und in Düsseldorf unterrichtenden Kunstprofessor.

Es entsteht ein spannender Gang durch ganz verschiedene Künstleruniversen, den die Villa Schöningen und der Kunstraum Waschhaus geschaffen haben. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ausstellungsmachern Mike Gessner und Ina Gräz, unterstützt von Constanze Hager, erweist sich als ausgesprochen fruchtbar. Die durch die Doppelausstellung nun erstmals inszenierte „Kunstmeile Potsdam“ sollte auf jeden Fall fortgesetzt werden.

„Neutron“ im Kunstraum ist bis zum 18. September zu sehen, die Arbeiten von Tal R in der Villa Schöningen bis zum 16. Oktober

Richard Rabensaat

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