Von Almut Andreae: Den eigenen Körper im Blick
Ich und Ich: Die 91-jährige Maria Lassnig und ihre Schülerin Regina Götz im Kunsthaus Potsdam
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Die Doppelausstellung der bedeutenden österreichischen Malerin Maria Lassnig und Regina Götz aus dem Kreis ihrer Schülerinnen im Kunsthaus Potsdam ist ein Ereignis! Erstmalig ist die Kunst der inzwischen 91-jährigen Lassnig in Potsdam zu sehen. Auf deren großformatige Leinwände aus den sechziger Jahren sowie Zeichnungen aus drei Jahrzehnten trifft die ausnahmslos in Öl auf Holz gemalte Bildwelt von Regina Götz (geb. 1966). Beide Künstlerinnen sind in der umfassenden Kunstsammlung Klewan vertreten. Nach der Vorgängerausstellung in Halle ist die Schau „Ich und Ich“ nun auch im Kunsthaus zu Gast.
Zum thematischen Bindeglied dieser Doppelausstellung wird das Selbstporträt. Ihm gilt nicht nur das besondere Interesse des in München lebenden Sammlers Klewan. Auch im Werk der 1919 geborenen Maria Lassnig, die 1941 in Wien ihr Malereistudium aufnahm, genießt das Porträt einen herausragenden Stellenwert. Als sie 1980 zur Professorin an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien berufen wurde, unterwies sie ihre Schüler zunächst im Porträtzeichnen. Es sensibilisiert und schult Wahrnehmung und Konzentration. Wie wesentlich die Zeichnung auch für die Malerei ist, führen in der Ausstellung verschiedene Blätter aus ihrer Hand vor Augen.
Zarter als in der farbintensiven Malerei breitet sich in ihnen die Vorstellungswelt und Gestaltungskraft der Künstlerin aus. Bei ihren gezeichneten wie gemalten Porträts handelt es sich in erster Linie um Selbstporträts. Selbstbildnisse sind es freilich nicht im engeren Sinne, spielt doch die Wiedererkennbarkeit der eigenen Physiognomie eine ganz und gar untergeordnete Rolle. Lassnig war etwa in ihrer Lebensmitte – damals in Paris lebend – dazu übergegangen, sich aus einem intensiven Körpererleben heraus zu porträtieren. Dabei fühlt sie sich zunächst mit geschlossenen Augen in den eigenen Körper hinein. Das, was sie da fühlt, wird – im Laufe des Prozesses auch wieder mit geöffneten Augen – in Konturen und Farbflächen übersetzt. Dass die Künstlerin ihre Bilder durchaus auch liegend, sitzend oder hockend malt, ist nur konsequent.
In den im Kunsthaus ausgestellten Selbstporträts scheinen Körper und Objekte zu verschmelzen oder sich gar zu verflüssigen. Die überdehnten Gliedmaßen, die teilweise monströsen Proportionen bis hin zur Fragmentierung und Deformation sind diesem intensiven Hineinfühlen in die eigene Körperlichkeit geschuldet. Das „Körpergehäuse“ wird zum Maßstab für Realität. Sie ist authentisch in dem Sinne wie sie mit jeder Faser des Erlebens vor allem eins ist: subjektiv.
„Man muss ganz abgetrennt sein von Erinnerungen, der Außenwelt“, beschreibt die Künstlerin in ihrem autobiographischen Film „Das neunte Jahrzehnt“ den von ihr konsequent beschrittenen Weg ihrer Körperempfindungs- beziehungsweise Bewusstseinsmalerei. Für ihr revolutionäres Konzept der „Introspektion“ und des „body awareness painting“ wurde die Künstlerin indes erst relativ spät angemessen gewürdigt. In ihrem ebenfalls in der Ausstellung gezeigten animierten Trickfilm „Kantate“, in dem die damals über 70-Jährige in den verrücktesten Verkleidungen vor die laufende Kamera tritt, hält sie Rückschau auf markante Lebensstationen, ohne dabei mit Selbstironie zu sparen. „Die Kunst macht mich immer jünger“, schmettert sie im Brustton der Überzeugung aus vollem Halse. Ihrem unkonventionellen Wesen, ihrer Kompromisslosigkeit trägt die Potsdamer Ausstellung einfühlsam Rechnung.
Durch den Blick auf das Werk von Regina Götz nun wird nachvollziehbar, wie die im Schülerkreis von Maria Lassnig gelegte Saat aufgeht und neue Blüten treibt. Regina Götz gehört zu jenen, die sich der charismatischen Künstlerin erkennbar inspirieren ließen, ohne dabei epigonenhaft zu sein.
Die Kunst beider Frauen kreist um die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst durch die Thematisierung der eigenen Körperlichkeit. Dem nach innen gerichteten Blick von Maria Lassnig begegnet Regina Götz mit einer realistischen und damit auch schonungslosen Wiedergabe ihres versehrten Körpers. Die Art, wie hier seelische und physische Verletztheit inszeniert wird, verweist auch auf Selbstporträts von Frida Kahlo. Eigene Freuden und Leiden leben auf in zuweilen traumhaften Sequenzen, in denen sich die Künstlerin mit Tieren porträtiert. Das Doppelbildnis mit Tier wird zur Metapher, um Ängsten und Begierden Ausdruck zu verleihen. Auch hierin folgt sie ihrer einstigen Lehrerin, die sich in der Vergangenheit wiederholt an der Seite etwa eines Hundes oder Tigers darstellte.
Sowohl die Bilder von Regina Götz als auch von Maria Lassnig geben uns Rätsel auf. Teils mit drastischen Mitteln konfrontieren sie mit einer Innenschau, die bis zur Selbst-Entblößung reicht. Sich in der radikalen Öffnung seiner selbst zu vergewissern steht in dieser Malerei auf dem Spiel.
Bis zum 5. Dezember, Mi 11-18 Uhr, Do/Fr 15-18 Uhr, Sa/So 12-17 Uhr, Ulanenweg 9
Almut Andreae
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