Kultur: Den eigenen Schulalltag neu inszenieren
Schüler antworten auf „Klamms Krieg“
Stand:
Schüler antworten auf „Klamms Krieg“ Ein Schüler begeht Selbstmord. Ein Punkt nur fehlte ihm zum Abitur. Klamm, sein Deutschlehrer, hatte ihn verwehrt. Zu mangelhaft war die Leistung und Klamm nicht bereit, darüber hinwegzusehen. Dafür hassen ihn seine Schüler und geben ihm in schriftlicher Kriegserklärung die Schuld am Tod des Jungen. In Kai Hensels Theatermonolog „Klamms Krieg“ holt der Lehrer zum Gegenschlag aus, wehrt sich gegen die ewigen Verleumdungen, Unterstellungen und Herabwürdigungen in jenem aussichtslosen Kampf „gegen eine Barbarei, die aus pickligen Gesichtern und pubertierenden Körpern nur so spritzt“. Schauspieler Ronald Funke vom Hans Otto Theater war als Lehrer Klamm in Potsdamer Gymnasien und Gesamtschulen unterwegs und konfrontierte die Schüler in ihrem eigenen Klassenzimmer mit den Hasstiraden eines unverstandenen Mannes, der den Unterricht 30 Jahre schon als Kriegsschauplatz erlebt. „Und jedes Jahr wird es schlimmer“. Obwohl sie persönlich gar nicht gemeint waren, fühlten sich die Schüler angesprochen, zumindest irritiert, mitunter schockiert. Klamm schien ihnen nicht sonderlich sympathisch, aber sie erkannten hinter seiner Wut einen Menschen, dem etwas wichtig ist, der Ideale hat, der sich quält, leidet, ja verletzlich und offensichtlich einsam ist. Sie beschlossen ihm via Videobotschaft zu antworten. Die entstandenen Schülervideos wurden nun in der Reithalle A vorgestellt. Die Schüler versetzten sich in nachgestellten Konflikten wechselseitig in die Lage der Lehrer und Schüler aus dem Theaterstück, tauschten Argumente aus, wählten Wege der Kommunikation statt der Konfrontation. Verstanden zu werden, in ihren Problemen erkannt und ernst genommen zu werden, Anerkennung und Hilfe dort zu bekommen, wo sie sie am nötigsten brauchen – das ist ihnen wichtig. Sie wünschen ein menschlicheres Miteinander. „Lehrer sollten mehr auf Schüler eingehen und nicht nur ihr Ding durchziehen“, fordern sie in ihren Videobotschaften und unterbreiten konkrete Vorschläge: kleinere Klassen, mehr Zeit, sich aufeinander und auf den Unterricht einzulassen, differenziertere Bewertungsformen als das rigide Noten- und Punktesystem, generell eine größere Nähe zum Alltag und zur eigenen Lebenswirklichkeit. Pit Spieß vom Landesinstitut für Schule und Medien ermutigte die Schüler in der anschließenden Diskussion, nicht auf Veränderungen und politische Vorgaben zu warten, sondern gemeinsam mit Eltern und Lehrern ihre Schule nach den eigenen Ideen zu gestalten. Schule sei ja nicht nur Ort der Wissensvermittlung, sondern auch Lebensraum, in dem wichtige soziale Erfahrungen gemacht würden, bestätigte Prof. Wilfried Schubarth (Universität Potsdam). Mehr und mehr würde der Lehrer hier zum helfenden Begleiter von Lernprozessen. Der Verlust des Wissensmonopols der Pädagogen durch den Vorlauf von Schülern beim Umgang mit Computern hat die Veränderung dramatisch vor Augen geführt und veranlasste auch Autor Kai Hensel dazu, in seinem Stück die Auseinandersetzung mit einem überholten Rollenverständnis zu provozieren. Erika Kiesant, Deutschlehrerin an der Voltaire-Gesamtschule, bezog „Klamms Krieg“ in einen literarischen Diskurs über „Schuld und Urteil" ein: Wie werden Menschen so, wie sie sind? Wie bin ich selbst in den Prozess der Sprach- und Hilflosigkeit eingebunden? Gemeinsam mit ihren Schülern suchte sie nach größeren Zusammenhängen, ohne die Position des Einzelnen aus dem Blick zu verlieren. Das, so Ute Pinkert von der Fachhochschule Potsdam, sei der besondere Wert des Theaters im Klassenzimmer. Zwei Ebenen überlagerten sich. Die Fiktion des Stücks, die in die Wirklichkeit einbreche, zeige den Schülern, dass auch ihr Alltag ein inszenierter ist. Wenn das aber so sei, dann ließe sich ihr Alltag auch verändern, bewusst neu inszenieren. Antje Horn-Conrad Informationen und Anfragen zum Stück: Hans Otto Theater, Tel. 0331/9811410
Antje Horn-Conrad
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: