Kultur: Den inneren Zustand herausschälen
Die Bühnenbildnerin Ines Nadler über ihre erste Tschechow-Arbeit „Iwanow“, die heute Premiere hat
Stand:
Frau Nadler, Tschechows „Kirschgarten“, „Die Möwe“ oder „Onkel Wanja“ sind Stücke, zu denen die Theater immer wieder greifen. „Iwanow“ ist da eher ein Sonderling. Warum?
Das ist schwer zu beantworten. Vielleicht weil der Konflikt so schwer zu fassen und das Thema noch heute ein heißes Eisen ist. Im Grunde wird jemand aus seiner vollen Schaffenskraft gerissen und in eine Depression geführt. Eine interessante, aber im Theater schwer zu beschreibende Thematik. Der Konflikt lässt sich nicht in drei Sätze fassen.
Versuchen Sie es trotzdem.
Es geht um einen kräftigen Mann in der Mitte seines Lebens. Er schaut zurück und begreift nicht, wo all seine Energie, seine Ideale und Leidenschaften geblieben sind. Etwas ist mit ihm geschehen, dem er ausgesetzt ist. Er ist ausgebrannt. Man kann es vielleicht auch Burnout nennen.
Was kann die Bühne leisten, um diese innere Zerrissenheit offenzulegen?
Gemeinsam mit Regisseur Markus Dietz suchten wir nach dem Sinnbildhaften. Wie schon bei „Familie Schroffenstein“, unsere vorherige gemeinsame Arbeit am Hans Otto Theater, haben wir wieder eine Wand gefunden. Doch diesmal wird sie nicht zerstört. Sie schwebt über der Bühne, macht eine artistische Bewegung, fast einen FlipFlop. Wie im Stück soll etwas über die Bühne wischen. Diese Wand ist nicht nur Zeichen, sondern auch Mitspieler. Die Darsteller müssen ganz physisch auf sie reagieren. Sie ist keine Dekoration, von der sie umstanden sind, sondern sie bewegen sich zur Wand, müssen unter sie durchkrabbeln, werden fast von ihr erdrückt. Wenn sich Iwanow an den schrägen Wandelementen festhält, kommt er auch mal außer Atem. Aber ich möchte nicht zu viel verraten. Die Wand ist eine Zustandsbeschreibung der Figuren.
Wie sieht diese Wand aus?
Sie hat eine dunkle, bleiernd wirkende Seite und eine sehr helle. Dafür sorgen 96 Leuchtstoffröhren. Die Bühne soll aber nicht illustrieren, im Sinne von oho, schwarze Wand gleich Depression. Sie möchte einen Subtext liefern, mehr zeigen, als man im Text hört. Schließlich ist Theater ein Erlebnis mit allen Sinnen, und eine Bühne kann den Text verdichten oder gegen ihn angehen. Ich möchte die Figuren in Situationen bringen, die rein physisch ungewöhnlich sind, in komische oder einsame. Dazu bringe ich diese riesige Wand zum Drehen und Kippen.
Das hört sich auch nach einer technischen Herausforderung an.
Ja, die Techniker sind an die Grenzen gegangen. Das Theater war schon richtig gefordert, hat aber seine Sache sehr gut gemacht. Schließlich ist die Wand neun Meter breit und sieben Meter hoch und muss trotz ihrer Schwere leicht wirken.
Sie inszenieren das erste Mal einen Tschechow. Seine Stücke zeichnen sich dadurch aus, dass die Tragik auch immer von komischen Zügen durchbrochen ist. Ist das bei „Iwanow“ auch so?
Es hat schon groteske Züge, die sich auch in der Situationskomik auf der Bühne widerspiegeln. Zum Beispiel, wenn die Wand nach unten fährt und die Leuchtstoffröhren die darunter sitzenden Menschen fast einklemmen. Das ist grotesk und tragisch zugleich. Diese merkwürdigen Figuren auf die hinderliche Bühne zu schicken, macht Spaß. Aber Komik hat ja auch immer etwas Trauriges.
Wie nähern Sie sich den Stücken?
Zuerst einmal lese ich sie ganz für mich, versuche den Rhythmus der Sprache herauszuhören. Der Schriftsteller gliedert sein Stück ja in Akte, in innere Strukturen. Und die möchte ich im Raum aufgreifen, plastischer machen.
Wie ist der Rhythmus bei Tschechow?
Bei ihm geht es weniger um Rhythmus als um Schatten und Licht, das am Ende verglimmt. Es beginnt mit einer depressiven Stimmung, in der die aufgebrauchte Liebe Iwanows zu seiner todkranken Frau Anna zu spüren ist. Anna hat alles für ihren Mann aufgegeben. Sie wechselte vom jüdischen zum christlichen Glauben und verlor damit Elternhaus und Vermögen. Sie befindet sich in einer Art Märtyrer-Rolle. Dann verliebt sich Iwanow in die junge Tochter eines reichen Mannes und als er zum Geburtstag des Mädchens bei deren Eltern erscheint, hat das etwas Hoffnungsvolles. Man glaubt, dass sich Iwanow von seiner Schwermut kurieren kann. In dieser Szene wird die Wand gleißend hell: Die Hoffnung, aus der Depression rauszukommen, ist aber nur ein Tischfeuerzeug. Das Stück endet tragisch, die dunkle Seite siegt. Vielleicht wird „Iwanow“ auch deshalb seltener gespielt.
Während der Regisseur bis kurz vor der Premiere an der Inszenierung arbeiten kann, muss das Bühnenbild lange im Voraus feststehen. Sie müssen Situationen im Kopf durchspielen, bevor das Spiel beginnt. Kann das nicht auch schief gehen?
Ja, das kann passieren. Es ist schon ein gewisser Druck dem Haus und Spielern gegenüber. Deshalb baue ich immer vorher ein Modell, mache Modellfotos, gebe Lösungsvorschläge für jede Szene. Die ersten Bühnenproben sind dann sehr spannend. Im Fall „Iwanow“ ist es wirklich sehr gut aufgegangen. Schön ist es, wenn der Regisseur es noch weiter treibt und man Lösungen sieht, auf die man selber nicht gekommen ist. Das ist ein großes Glücksgefühl , das ich auch bei „Iwanow“ erleben durfte. Markus Dietz, mit dem ich schon seit 2004 zusammenarbeite, geht gut mit den Räumen um, die ich baue. Ihn bewegen ähnliche Fragestellungen und wir haben ein großes Vertrauen zueinander. Uns interessiert bei der Suche nach dem Raum viel weniger, wo und wann das Stück spielt und auch nicht die Dekoration, sondern was passiert mit Figuren, in welchem inneren Zustand sind sie. Und den möchten wir über den Raum verstärken.
Hat es schon mal nicht funktioniert?
Nöh. Eigentlich nicht.
Sie wurden 2003 von „Theater heute“ als bestes Nachwuchstalent nominiert.
Das ist schon lange her. Ich weiß nicht, ob man das schreiben muss.
Aber es ist doch etwas Besonderes.
Ja, das schon.
Vor zwei Monaten sind Sie das dritte Mal Mutter geworden. Wie ließ sich das mit Ihrer Arbeit in Potsdam vereinbaren, schließlich wohnen Sie in Dresden.
An den Proben konnte ich nicht so intensiv teilnehmen. Aber wir haben schon seit dem Sommer an „Iwanow“ gearbeitet. Es war ein langer Prozess. Denn wir wollten nichts Beliebiges, sondern genau die Bühne für das Stück. Es ist ein langer Weg, den Kern aus einem Text herauszuschälen.
Kann man nachvollziehen, was Iwanow in die Depression getrieben hat?
Das ist das Schwierige an Depressionen und am Verständnis des Stückes. Auch die Hauptfigur kann nur mutmaßen. Sie erzählt die Sage von einem jungen Knecht, der sich zwei Säcke auf den Rücken packte, um vor den Mägden anzugeben und sich dabei verhob. Iwanow fühlt sich wie dieser Knecht. Auch er hat sich verhoben, nachdem er mit Schwung und großen Engagement viele soziale Projekte anschob. Irgendwann war alle Kraft aus ihm raus. Und dann ist da noch die Beziehung zu seiner Frau, die etwas Pathologisches hat. Das alles kann man mehr erfühlen als verstehen. Vielleicht ist gerade das das Typische an Depressionen. Nicht alles ist durch Liebe kurierbar, so wie es die junge Sascha hofft.
Zieht so eine Arbeit auch runter?
Na ja. Sie macht glücklich, weil sie einen erfüllt. Aber ich war auch mitgenommen und erschöpft, weil das Verhandelte mich so bewegte. Es wäre wünschenswert, wenn es den Zuschauern ähnlich geht.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
Premiere am heutigen Samstag, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater
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