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Märchenhaft und bitterböse. Das Spiel im „Drachen“ zeigt: Das Volk lässt sich immer dressieren.

© Theater Marameo

Kultur: Den König spielen immer die anderen

Sommertheater auf dem Pfingstberg. Die Theatergruppe „marameo“ zeigt „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz

Stand:

Das Volk ist niemals frei. Immer greifen Herren nach ihm, immer nur wird es benutzt, unterworfen, geplündert. Für Novalis war dieses Wort „Volk“ zwar nur „eine Idee“, dafür steht es in der neuen Inszenierung des Freien Theaters „marameo“ im Zentrum, auch wenn es zuerst mal um einen Drachenkampf geht.

Eines dieser nie ausgestorbenen Wesen hatte sich ja bekanntlich schon vor Jahrhunderten einer gewissen Stadt bemächtigt und deren Bewohner so kirre gemacht, bis sie das dreiköpfige Ding nicht nur mit Tieren und Menschen fütterten, sondern gar noch lieben lernten. Gerade als Elsa, des Bürgermeisters jungfräuliche Tochter, am Donnerstag auf dem Pfingstberg geopfert werden sollte, trat mit Lanzelot ein berufsmäßiger Drachentöter hinzu. Er besiegt das Urvieh, doch wie wird nun „das Volk“ mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen?

Natürlich war Jewgeni Schwarz’ allegorische Märchenkomödie „Der Drache“ von Anfang an subversiv gemeint, kurz nach seiner Entstehung 1944 wurde das Stück in der Sowjetunion auch verboten. Subversiv ist sie noch heute, nicht wegen der unausrottbaren Drachen, sondern ob des Volks als „Idee“. Das wusste auch Regisseur Andreas Lüder, als er diesen erstklassigen Text für die traditionelle Sommertheater-Tournee in Magdeburg und Potsdam auswählte. Mag die gut zweistündige Inszenierung hier und da auch Ecken und Kanten haben, ihre Idee war Geist, und der Geist Subversion, wie selten ist das geworden. Nichts anderes erhält ja die Macht als kalte Gewalt – und der unsterbliche Opportunismus im Volk. Genau diese Konstellation zeigt die Open-Air-Inszenierung auf der Nordseite des Belvedere, das hier als Kerker für die Unbotmäßigen fungiert. Ein zweistufiges, von einem Steg umrahmtes Podest und ein paar weiß aufsteigende Stoffbahnen geben das Ambiente. Die Aufführung selbst ist eine nicht ganz ausgewogene Mischung aus Spiel- und Sprechtheater, darin die Bösewichter mal wieder mehr Farbe zeigen als es die Guten vermochten. Dies sowohl szenisch wie auch im Rollenaufbau.

Elsa (Sandra Käpernick) zum Beispiel ist so sanft und so folgsam, dass ihr Konflikt zwischen liebender Maid und Opferfigur glatt außen vor bleibt. Warum die Regie ausgerechnet aus Lanzelot (Cyrus Rahbar) keine dramatische Figur, sondern nur etwas statisch Hehres gemacht hat, ist völlig unbegreiflich. Auch Elsas Vater Charlemagne (Kurt Eichmann) in seinen kurzen Hosen ist nichts als das einseitige Leiden. Profil zeigt er in der dritten Erscheinungsform des bösen Drachen. Ohne Wenn und Aber ist Kater Ludwig Drengk zu loben, eine durchgehend lebendige und glaubhafte Figur. Übrigens hatte diesmal auch der Perkussionist Botho Karger szenische Arbeit zu leisten, und das machte er gar nicht mal schlecht.

Die anderen beiden Formen des tyrannischen Drachen, eine stramm militärische und die eher uranistische, spielt Cyrus David mit großer Bravour. Logisch, wenn er dann auch den Part des neuen Machthabers als „Präsident“ übernimmt, der sich vom „Volk“, alias Publikum, gern bejubeln lässt. Der chargierende Übermut dieses temperamentvollen Schauspielers scheint den Absichten des Regisseurs entgegenzukommen, Lüder setzt ja auf Leichtgängigkeit und aufs Lachen, so kommt das Allegorische wie von allein.

Die Botschaft: Diese Stadt kuscht vor jeder Gewalt, egal wer das Sagen hat. Und das Volk lässt sich immer zum Jubeln dressieren, wie die Szene mit Präsidentensohn Heinrich (Jan Käpernick, stark) zeigt. Als der totgeglaubte Lanzelot dann wider Erwarten zurückkehrt, ruft der Präsident ins Gestühl hinüber: „Ihr habt doch so begeistert gejubelt!“ Tja, den König spielen immer die anderen! Toll, dieser geistvolle Ansatz, auch wenn er letztlich in der Realität immer ins Leere läuft, die Mächtigen wissen das. Keine perfekte Inszenierung also, aber eine sehr wichtige. Gerold Paul

Die nächsten Vorstellungen am heutigen Samstag sowie 23. bis 25. August, jeweils 20.30 Uhr, Belvedere auf dem Pfingstberg. Kartenreservierung unter Tel.: (0391)744 76 80 und karten@theater-marameo.de

Gerold Paul

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