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Kultur: Den König spielen immer die anderen!

Eine Typenkomödie mit viel Spielwillen: „Der Revisor“ auf dem Theaterschiff

Stand:

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, sagte sich einstmals die Staatsmacht, und schickte einen Revisor ins Land, um ein gewisses Gouvernement samt Gouverneur weit in der Provinz unter die Lupe zu nehmen. Üble Nachricht drang von dort zur fernen Zentrale. Patienten beklagten sich über zigarrenpaffende Ärzte am Bett ihrer Leiden, Richter über die Hundezucht im städtischen Justizgebäude, Mittelständler über Erpressermethoden der Ämter, alle zusammen wünschten jenen korrupten Tyrannen hinweg, der sie regierte. Fast wie heute?

Etwas wird man sich auf dem Theaterschiff schon gedacht haben, Nikolai Gogols berühmte Komödie vom „Revisor“ aus den Archiven zu holen. Etwas Bestimmtes dazu, weil ja derzeit ein Gogol auch im Hans Otto Theater aufgeführt wird: das Original.

Zum Glück hatte der Potsdamer Autor John von Düffel gerade seine Version dieses Stückes zur Hand, nicht minder klug, und auch gut spielbar, obwohl er aus der Provinz eine Kleinstadt machte, aus dem Gouverneur (alias Landesfürst!) einen Bürgermeister, und am Schluss auch nicht der echte Revisor an die verruchten Türen pocht, sondern gar keiner. Höchst bedauerlich.

Die lange, trotzdem sehenswerte Inszenierung ist wirklich etwas Besonderes. Sie zieht Kraft, Witz und Charme ganz aus der Spielweise zum Untertext. Da kann man eigentlich nichts falsch machen, höchstens zu viel. Besagter Bürgermeister (Axel Körting) hat schwarze Ringe unter den Augen, eine sich vernachlässigt fühlende Gattin (Sarah Frese) und in Karen Schneeweiß ein alertes Töchterlein mit Heiratsabsichten. Seine Sekretärin (Franziska Timm), nicht immer sicher, was zu spielen sei, wirkt streng, während des Stadtprimus Helfer Bobtschinski (Bernd Malzanini) weiße Galoschen und weiße Handschuhe trägt und ein bisschen wie ein späterer Kreml-Funktionär aussieht. Er will den inkognito reisenden Revisor als Erster gesehen haben, er bringt alles ins Laufen, gleichwohl die Regie von Detlef Brand fast keine Schlüsse zieht. Die Hauptfigur heißt natürlich Chlestakow, ein heruntergekommener Schwadroneur, der im Hotel festsitzt, weil er nicht zahlen kann. Bob Schäfer gibt diesen Part mit entwaffnendem Minimalismus. Das kann er auch, denn den König spielen ja immer die anderen. Ossip, seine in Gestalt von Jana Rose ewig fingernagelfeilende Begleitung noch am wenigsten, sie ist eher das Stiefkind einer sonst einfallsreichen, fast tiefsinnigen und überzeugenden Inszenierung.

Der vermeintliche Revisor muss Geld gar nicht mehr fordern, man gibt es ihm freiwillig, denn vor der Staatsmacht hat jeder was zu verbergen. Und wie ein echter Tartuffe macht er sich auch noch an Mutter und Tochter heran, Küsschen für die, Küsschen für sie, vielleicht die hübscheste Szene von allem.

Detlef Brand geht es wenig um Charaktere, er lässt eine Typen-Komödie mit viel Stilwillen spielen. Ausgestellte Sprache, sprach- und szenische Reprisen, er nutzt fast jeden „Zwischenraum“ in den Dialogen, um dort viel „Spiel“ unterzubringen, Theater. Die bis auf einen Stehtisch leere Bühne kommt ihm dabei entgegen. Allerdings sind diesmal „Parkett“ und Bühne vertauscht, man spielt also „breitschiffs“, und kann dabei noch die Spiegelflächen nutzen. Nähen, Distanzen, alles sehr gescheit, nur das Finale „passt“ nicht. Man lamentiert über den getürmten Betrüger, es fehlt die echte Gefahr, die Staatsmacht als Macht. Das Drumherum mit Tänzern und Kindern an Anfang und Schluss bleibt das Geheimnis vom Schiff. Gerold Paul

Weitere Aufführungen vom „Revisor“am 24. Oktober um 18 Uhr, dann wieder im November.

Gerold Paul

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