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Schweiß und Bewegung, Bewegung, Bewegung: Die ungewöhnliche Aufführung von Jan Martens „The Dog Days Are Over“ in der fabrik in der Schiffbauergasse.

© promo

Kultur: Den Rhythmus halten, bis es schmerzt

Tanztage: Regisseur Jan Martens bringt Tänzer und Publikum in „The Dog Days Are Over“ an die Grenzen

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Es ist der Rhythmus, der hier fasziniert. Der Rhythmus und die extreme körperliche Anstrengung, der die Tänzer für eine gute Stunde ausgesetzt sind und die am Ende fast greifbar ist. Denn was Regisseur Jan Martens am vergangenen Freitagabend auf den Potsdamer Tanztagen in der fabrik mit seinem Stück „The Dog Days Are Over“ zeigte, war eine 70-minütige pure Körperkonzentration.

Das Konzept erscheint zunächst simpel: Insgesamt acht Tänzer, brav zur Hälfte in Männlein und Weiblein aufgeteilt, zeigen, wie sie springen. Die Hände zur lockeren Faust geformt, fest an der Hüfte fixiert, hüpfen sie auf und ab. Im perfekten Rhythmus, in perfekter Synchronisation, ohne Musik. Zu hören sind nur die Geräusche, welche die Sportschuhe erzeugen, wenn sie auf dem Boden aufschlagen. Und das tun sie immer und immer wieder. Immer im gleichen Takt, immer in der gleichen Bewegung. Unglaublich zähe, angespannte Minuten lang. Der Blick der Tänzer ist dabei starr auf das Publikum gerichtet. Die Aufforderung ist klar. „Seht uns an“, scheinen sie stumm zu sagen. „Seht uns an und erkennt euch in uns wieder.“

Und wie sie den Boden der fabrik zum Vibrieren bringen, sich mal nach rechts oder links drehen. Wie sie eine Reihe bilden, sich aus der Formation lösen, wieder neu zusammenfinden und doch immer irgendwie synchron bleiben. In all dieser Bewegung, die gleichzeitig so monoton und vielfältig daherkommt, glaubt man irgendwann tatsächlich, sich selbst zu entdecken – oder doch zumindest ein Stück der menschlichen Emotionalität. Sei es ein schüchternes Lächeln, ein strebsamer Blick oder auch ein hilfloses Flehen, alles spiegelt sich irgendwie wider in den Gesichtern oberhalb der springenden Körper.

Im Laufe des Stückes ändern die Tänzer ihren Körperausdruck. Die Arme bleiben irgendwann nicht mehr starr an der Hüfte, sie bewegen sich mit, schlagen aus, pendeln, greifen, fassen – doch niemals straucheln sie. Sie bleiben angespannt, immer bereit, wieder starr an der Hüfte zu verweilen. Fast werden sie zum Symbol des Ausbruchs aus dem immer währenden Rhythmus des Springens, der kaum unterbrochen wird. Ab und zu dürfen auch die Beine mal kicken oder die Technik ändern, doch sie bleiben beim ewigen Hoch und Runter, beim ewigen Aufschlagen auf den Bühnenboden. Ein wenig wie der Rhythmus des Lebens erscheint einem dieses Stück irgendwann. Ein Leben, in dem die Gesellschaft den Takt vorgibt, dem man folgen muss und dann doch seinen eigenen Weg sucht. So wie die Tänzer, die sich auf der Bühne verstreuen und ihren eigenen Wegen folgen. Jeder bewegt sich anders, mal schüchtern, mal kräftig, den Blick immer geradeaus aufs Ziel gerichtet, das irgendwo vor ihnen liegt.

Apropos Ziel: So langsam kommt die Frage auf, wohin das ganze Rumgespringe eigentlich führen soll. Denn bei allem Respekt vor der Kondition der Tänzer entsteht doch der dringende Wunsch, dass sie endlich aufhören, diesen ständigen Rhythmus zu schlagen. Dann auf einmal ein Bruch: Das Licht geht aus, Musik ertönt. Richtige melodische Musik, die das Geräusch der springenden Turnschuhe übertönt. Es darf entspannt ausgeatmet werden, das Licht geht wieder an, die Arme pendeln aus, das Springen wird langsamer, die Spannung weicht, die Tänzer stehen. Sie stehen und starren das Publikum an, das unsicher zu klatschen beginnt, nur um gleich wieder zu stoppen, denn das Ende ist noch nicht erreicht. Jetzt geht es erst richtig los. Mit einem letzten Kraftakt performen die Darsteller eine wilde Aerobicstunde mit Kicks und Twists, bei der sie laut den Rhythmus zählen. One, two, three. Immer lauter werden die Stimmen, bis sie endlich verstummen, das Licht verlischt und die finale Verbeugung folgt. Was bleibt, ist ein ständig pochender Rhythmus, der sich so sehr eingebrannt hat, dass er erst nach mehreren Stunden verhallt. S. Kugler

S. Kugler

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