Kultur: Denkmale einer vergangenen Epoche Frühjahrskonzert der Singakademie Potsdam
Große Sängertreffen gehörten zum 19. Jahrhundert wie Sportveranstaltungen zur Gegenwart.
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Große Sängertreffen gehörten zum 19. Jahrhundert wie Sportveranstaltungen zur Gegenwart. Nahezu jeder Komponist produzierte Werke für Chorgesang und Orchester. Was die Dichter wiederbelebten – antike Mythen und deutsche Sagen –, wurde von den Tonsetzern der Romantik musikalisch gestaltet. Auf diese Weise blieben die Texte von Goethe, Schiller, Hölderlin und vielen anderen Dichtern in aller Munde, Ohren und Gedanken. Beim Frühjahrskonzert der Singakademie Potsdam im Nikolaisaal wurde manch so ein schon halb versunkenes Kulturmonument neu belebt, mit allen Stärken und Schwächen.
Unter der Leitung von Thomas Hennig und im Verein mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg sowie vier großartigen Solisten erklangen literarisch-musikalische Denkmale einer vergangenen Epoche. Insbesondere Johannes Brahms zeichnete sich mit zahlreichen Vertonungen für Chorgesang aus. Tosend und brausend im Rhythmus des jambischen Versmaßes stürmt Brahms’ Musik durch das „Lied der Parzen“ aus Johann Wolfgang von Goethes Iphigenie. Mit theatralischer Pracht werden Bilder von grausamen Schicksalsgöttinnen, Tantalusqualen und raue Gefechte ausgemalt.
Der sechsstimmige Chor weiß sich in diesem stürmischen Tableau zu behaupten und fügt zudem in der sechsten Strophe mild-weiche Klänge hinzu. Eine farbige Verklärung klassischen Ideenguts stellt Brahms’ Vertonung von Schillers Nänie dar, einem Klagegesang über die Sterblichkeit des Schönen. Chor und Orchester gestalten mit allen gebotenen Mitteln diesen Höhenflug durch die erhabenen Sphären des Ideals. Nur Hyperions Schicksalslied nach Worten von Friedrich Hölderlin vermag den satten Klangrausch noch zu steigern. Chor und Orchester arbeiten sehr eng zusammen, was eine klangvolle, ausdrucksstarke Interpretation ergibt. Der Chor erfreut mit ausgewogener Dynamik und Homogenität der Stimmen, herben Anrufen und zartem Pianissimo im a capella-Gesang. Bei Brahms haben natürlich nicht die Worte, sondern die Musik „das letzte Wort“.
Seine Auflösung der traurigen Klage in reinster C-Dur-Harmonie des instrumentalen Nachspiels erregte zwar seinerzeit die Kritik, überzeugt aber völlig, zumal, wenn so intensiv und klangschön wie hier gespielt wird. Von Felix Mendelssohns Opernversuchen ist wenig bekannt und erhalten geblieben. In seinem letzten Lebensjahr bemühte er sich noch um die Loreley, wovon ein Fragment zeugt. Drei Gesänge daraus geben der Singakademie nicht nur Gelegenheit ihre Stimmen getrennt nach Geschlechtern zu erproben.
Beim Ave Maria tragen die Damen schon aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit den Sieg davon. Doch auch der Winzerchor, der von den Herren mit großer Hingabe angestimmt wird, kann sich hören lassen. Als Solistin brilliert Maraike Schröter mit dramatischem Koloratursopran in der großen, tragischen Szene der Loreley zum Finale. Auch die Solisten in Mendelssohns beliebter Walpurgisnacht erfreuen mit großartiger stimmlicher Präsenz.
Sabra Lopes, Alt, Kai Ingo Rudolph, Tenor, und Haakon Schaub, Bass-Bariton, bringen ihre herausfordernden Partien vollendet zum Klingen. Auch für die Chorsänger wird diese spöttische und kampflüsterne Kantate zwischen Christen und Heiden zum Höhepunkt des Konzerts. Das feurige „Kommt mit Zacken und mit Gabeln“ erklingt mit sangeslustiger Deklamation. Viel Beifall für dieses großartige Konzert der Singakademie Potsdam unter der Leitung von Thomas Henning. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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