Kultur: Der Anarchist
Punk-Literaturveteran Sir Jan Off las in Potsdam
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„Es wird immer schlimmer mit mir“, ließ Jan Off gleich zu Beginn seiner Lesung wissen, und sofort machte sich eine Vorahnung breit, auf was sein neuer Roman „Happy Endstadium“ hinauslaufen könnte. Und genau so war es auch: Es ging um Hausbesetzerkommunen, Weltverbesserungsstrategien, krude Geschichten im Vollrausch und generell um die absolute Negation aller gesellschaftlichen Normen. Gott sei Dank: Offs neuer Roman tritt direkt in die Fußstapfen seines Klassikers „Vorkriegsjugend“, und innerlich dankte man dem Meister, dass er seinem Stil so beharrlich treu blieb.
Die Wahl von Gesellschaftsrand und Subversivität als Handlungsfeld seiner Erzählungen verspricht von vornherein, eine explosive Mischung zu werden. Hier wird Anarchismus nicht nur gelebt und gepredigt, sondern regelrecht auf die Spitze getrieben. Da blieb kein Auge trocken, als Jan Off aus Kapiteln seines Buches rezitierte, die mit denkwürdigen Schlagertiteln wie „Samba sí, Arbeit no“ (Roberto Blanco) oder „Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund“ (Nicole) dekoriert waren. Wenn die Protagonisten schon „Kleingeld“, „Nachgeburt“ und „Turnbeutel“ heißen, braucht man auf den Inhalt gar nicht mehr so detailliert einzugehen.
Off schreibt für den Untergrund, und genau dort gehört er auch hin, weshalb das „Black Fleck“ in der Zeppelinstraße als subkulturelle Location eine mehr als exzellente Wahl war. Schon weil der Autor sich genötigt sah, sich zur vergangenen Leipziger Buchmesse zu äußern, bei der er tatsächlich den Fehler machte, das Messegelände zu betreten. Leipzig zur Buchmesse ist „relativ schön“, aber auf dem Messegelände finde nur „das größte Pädophilentreffen Europas statt“, bei dem sabbernde alte Männer als japanische Comicfiguren verkleideten Teenagern hinterhergeifern. Er entschuldigte sich artig für den Besuch dort, die Buchmesse mache jedoch polemisch – Günter Grass soll schon mindestens siebenmal dort gewesen sein.
Es ist nicht nur die Polemik der Sprache, die Off zu einem Ausnahmeliteraten macht, sondern die alles komprimiert auf den Punkt bringende Ausdrucksweise, in der bewusst antiquiert wirkende Wortspiele mit Vulgarismen kombiniert werden. Er jongliert mit Metaphern und Konjunktiven, scheut sich nicht vor Alliterationen und regiert seine Nebensätze wie ein südamerikanischer Diktator. Und die Off‘sche Prosodie gab dem Ganzen noch den Rest. Der Autor nutzte seine markante Stimme, setzte Zäsuren, entfaltete seine ganz eigene Rhythmik. Selbst als das Mikrofon ausfiel, büßte er nichts von seiner Präsenz ein. Da war er wieder in seinem Element, der Alleinunterhalter, der es sich leisten konnte, nach einem Zivildienstleistenden zu krähen, der ihm den Rücken tätscheln solle und Potsdamer als Rex trinkende Babelsberg-Fans über einen Kamm zu ziehen. Der Braunschweiger scheint im Osten angekommen zu sein und hat es sogar als „Alibi-Vertretung aus dem Westen“ in eine Anthologie ostdeutscher Autoren mit dem grenzwertigen Titel „Leck mich am Leben“ gebracht. Die Grenzen verschwimmen eben, nicht nur in seinen Texten. Oliver Dietrich
Jan Off: Happy Endstadium. Ventil-Verlag, Mainz, 2012. 220 Seiten, 14,90€
Oliver Dietrich
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