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Harald Martenstein

© Doris Klaas

Kultur: Der Autor unter den Journalisten

Harald Martenstein liest morgen in Potsdam

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Harald Martenstein hat einen Status erreicht, von dem andere Journalisten nur träumen können. Sein Geheimnis ist eben, dass er gar kein Journalist im üblichen Sinne ist. Der Tagesspiegel führt ihn im Impressum als „Autor“ auf. In der Beilage „Leben“ von der ZEIT liest der inzwischen Martenstein-Abhängige wöchentlich eine Kolumne, in der der 1953 in Mainz geborene Wahlberliner seinen ganz persönlichen Blick auf sich und die Welt, die ihn umgibt, zelebriert. Genüsslich spielte er seine Ähnlichkeit mit Peter Handke auf der letzten Frankfurter Buchmesse aus und setzte den Handke-Fans Handke-Unterschriften in Handke-Bücher. Das war eine der ganz besonderen Kolumnen, die sowieso besonders sind.

Der Martenstein-Stil ist eine eigene literarische Handschrift, die ihn weit von seinen Kollegen, den Journalisten, absetzt. Denn Martenstein, auch PNN-Autor, darf und soll exakt das machen, was üblicherweise verboten ist: Er muss sogar subjektiv argumentieren, er darf – zum Beispiel über österreichische Hotelrezeptionistinnen – schimpfen, und er darf loben – zum Beispiel sich selbst, wenn er sagt: „Mein Platz ist auf der richtigen Seite. Ich bin bei den Guten.“ Und er darf nach Herzenslust abseitige Themen wählen, solche, die für alle anderen Rubriken abgelehnt werden würden.

Harald Martenstein verkörpert also den Traum eines jeden Schreibenden, er hat erfolgreich seinen individuellen Stil kultiviert und ist selbst zur Kultfigur avanciert. Über die Jahre lernt man den Eigendenker auch fast privat kennen, erlebt seine Sorgen als alleinerziehender Vater, begleitet ihn zu Lesereisen, bei denen er Kopfweh, aber kein Aspirin bekommt, lässt sich von ihm überraschen, wenn er über seine „Verflossenen“ trauert, weil sich am Ende herausstellt, dass es alles Marken waren: Märklin, Schiesser, Junghans, Woolworth, Saab.

Das ist sein Trick, er kombiniert einen privaten Aspekt mit globalen Trends, oder eher umgekehrt, globale Trends mit einem privaten Aspekt. Er gibt sich gern schwach: So behauptet er, mit Müh und Not gleichzeitig die Spülmaschine leeren und telefonieren zu können, so dass er zwangsläufig an der Aufgabe scheitern musste, bei einer Radiomoderation unzählige Literaten, Schauspieler und dazu noch x-mal den Namen des Senders zu nennen. Da geht der Leser gerne mit, wenn sich ein anderer stellvertretend an den Forderungen der modernen Gesellschaft scheitern sieht. Und wenn dieser sich noch dazu schuldig bekennt, einem Kiosk durch zu wenig Treue den Garaus gemacht zu haben, kann er sicher sein, die Sympathien auf seiner Seite zu haben.

Seine Kolumnen kultivieren den schrägen Blick auf Dinge, die wir alle irgendwie erleben, aber eben nie so sehen, wie Harald Martenstein sie sieht. Er sah zum Beispiel in Maxim Biller einen deutschen Autor, ebenso deutsch wie Heino oder die Wildecker Herzbuben, weil er den Deutschen diesen ewigen Selbsthass von der Seele schreibe und damit „deutsche Wohlfühl-Literatur“. Was so einfach bis in den Nebensatz klingt, ist oft scharfe Analyse und verrät nicht nur einen kritischen Verstand, sondern auch eine eigene Art von Humor. Zu Recht erhielt Martenstein also den Autor-Status beim „Tagesspiegel“ und darf als ZEIT-Kolumnist sicher so lange weitermachen, bis ihm die Ideen ausgehen. Das aber ist so schnell nicht zu befürchten.

Für all jene, die seine regelmäßigen (Selbst-)Betrachtungen verpasst haben, gibt es die besten Kolumnen zwischen Buchdeckeln. Jetzt kommt er mit seinem letzten Buch „Der Titel ist die halbe Miete“ nach Potsdam. Lore Bardens

Die Lesung des Brandenburgischen Literaturbüros findet am morgigen Samstag um 18 Uhr auf der Terrasse der Villa Quandt, Große Weinmeister Straße 46-47, statt. Eintritt: 7/erm. 5 Euro.

Lore BardensD

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