Kultur: Der bayerische Rebell
Eine Aufstachelung zum Ungehorsam: Hans Söllner im Nikolaisaal
Stand:
Anarchie im ehrwürdigen Nikolaisaal. Joints kreisten beim Auftritt des urbayerischen Liedermachers Hans Söllner, und die hilflosen Saalordner schauten traurig dem Treiben zu. Zweifel, dass dem bajuwarischen Rastaman im Preußischen das Publikum fehlen könnte, waren unberechtigt. Der feine Konzertsaal war gut gefüllt mit Söllner-Fans, die dem Augenschein nach nichts gegen die Bezeichnung „autonom“ hätten. Irokesenschnitt, verfilzte und lange Haare dominierten, wo sonst häufig „Garderobe“ getragen wird. Die Saalpolitik stellte sich auf die jugendkulturelle Lockerheit ein, indem sie ausnahmsweise Bierflaschen in den Reihen zuließ. Auch Söllner ist ein Autonomer. Solche Dickschädel wie ihn gibt es wohl nur in Bayern. Knorrig, sein fünfzig jähriges Leben lang unbeugsam, seine Freiheit über allem hoch haltend. Für die Legalisierung aller Drogen, vor allem seines Lieblingsgewächses, der Hanf, fechtet er Prozesse gegen die Obrigkeit aus. Über die hohen Ordnungsstrafen lacht er mittlerweile. Seine Platten verkaufen sich auch ohne Werbung und Radiounterstützung glänzend. Seine Fans lieben ihn für seine Unbeugsamkeit. Die Beleidigungsklage, die er sich einhandelte, als er den bayerischen Innenminister Beckstein für die Abschiebung von „Mehmet“ mit Schmähungen belegte, nimmt er nunmehr feixend zur Kenntnis.
Der nur vom jungen Bassisten Denis Rieger begleitete Ausflug Söllners in das noble Potsdamer Konzerthaus, dessen Bühne der bayerische Wappenlöwe in den Nationalfarben Jamaikas schmückte, war eine musikalische und rhetorische Aufstachelung zum Widerstand. Der bekennende Hanfkonsument ist geistig sehr klar, einen Hang zum gefürchteten „Laber-Flash“, dem nicht enden wollenden Redefluss, muss man ihm dennoch attestieren. „Wo ist der Plan?“ fragte Söllner mehrfach in den Raum, den er grundsätzlich duzt, als ob er vor einem Kumpel säße: „Verstehst?“ Sein Eindruck ist, es würde im Land gar nicht mehr regiert. Vogelfrei wäre man nun. Zwischen seinen Liedern ruft der „bayerische Rebell“ zum Ungehorsam auf, das Publikum johlt und klatscht. „Ich erzähl euch mein Leben so, dass ihr Lust auf die erste Vorstrafe bekommt.“ Aber nicht mit dem Baseballschläger oder Holzhammer. Nein, subtiler. Gleich nach dem Konzert sollten alle 300 Gäste zur Polizeiwache gehen und freiwillig – präventiv – ihre Personalien abgeben. „Sie müssen jederzeit mit mir rechnen“, würde das Signal bedeuten. Ein anderer Vorschlag, die Obrigkeit auf sich aufmerksam zu machen: Zu Weihnachten an die Polizei einen Gutschein für eine Hausdurchsuchung schicken, oder sich freiwillig an die Wand stellen und sich kontrollieren lassen, sobald man auf eine Streife treffe. „Wir machen jetzt das, was sie wollen“, lacht Söllner ins Mikrofon, „dass die ganz großen Herren wieder Angst bekommen.“ Heute Nacht solle man gleich anfangen. Was, wenn Söllner wirklich ein Prophet wäre und das so machtkritische Publikum nicht doch nur Rebellionskonsument, das brav Eintritt zahlt?
Paradox. Söllner wäre ein Gigant der Kritik, würde er das Schweigen besser beherrschen. Seine im rohen Dialekt gesungenen Lieder in sanftem Reggae-Rhythmus würden womöglich mächtiger sein, ständen sie alleine. Sein Furor und Zorn gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt lässt in seinen Liedern aus dem leichten melodiösen Wogen eine intensive Welle formen. Das Bayerische ist plötzlich die poetischste aller Sprachen, wenn „Babylon verbrennen muss, weil es anders halt nicht geht“. Und Weisheit ist darin: „Ein G’scheiter ist nur dann g’scheit, wenn der Bledeste ihn versteht.“ Und der Anspruch auf die Welt: „Wenn du net mit mi klar kommst“, singt Söllner seine Überzeugung heraus mit dieser kratzenden, schmeichelnden Stimme, „dann geh’ du mir aus dem Weg.“
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