Kultur: Der bewegte Mensch
Wie die Zeit das Tanzen formt: Die Tanztage endeten mit „Solides“ von Catherine Diverrès
Stand:
Drei Tänzer in Weiß, drei Stühle auf der Bühne, eine Glühbirne, die von der Decke herunterhängt. Aus dem Off kommt der elektronische Takt, zu dem der Mann und die zwei Frauen um die Stühle herumgehen. Sie stellen sich dahinter, davor, daneben, setzen sich, jeder auf seinen Stuhl, schlagen die Beine übereinander. Dann dasselbe noch einmal. Nichts Besonderes dabei. Gehen, stehen, sitzen. Das würde bei fast jedem so aussehen. Schlichte, gleichförmig wiederholte Alltäglichkeit.
„Minimalismus“, nennt das der Mann hinter dem Rednerpult am Rande der Bühne. Im minimalistischen Prozess schließe Kunst das aus, was nicht notwendig ist, sagt er. Schnörkellose Bewegung. Reduktion auf das Wesentliche. Das war in der Malerei der 60er Jahre so und das hat sich auch im Tanz widergespiegelt, erfährt das Publikum der 16. Potsdamer Tanztage am Samstagabend in der fabrik. Auf dem Programm steht „Solides – Grundlagen des zeitgenössischen Tanzes“ von der französischen Choreographin Catherine Diverrès. Das letzte Stück des diesjährigen Festivals will so etwas wie eine Forschungsstunde des zeitgenössischen Tanzes sein. Es will eine Reise in die Geschichte wagen: vom expressionistischen Tanz über das Zufallsverfahren bis zum Happening. Wissenschaftliche Theorie trifft Praxis. Das hört sich anspruchsvoll an, schließlich steckt die Tanzforschung noch in den Anfängen. Und anspruchsvoll ist die Aufführung dann auch. In der Konzeption – und für den Zuschauer. Nicht immer gelingt es der Kompanie, das Publikum auf seine durchaus ästhetische Reise mitzunehmen.
Auf dem Weg in die Vergangenheit bekommt man zum Beispiel den „Freien Tanz“ im Blümchenkleid zu sehen, ganz psychedelisch, ein Ausdruck der wilden 70er. Oder die einfallsreiche Choreographie mit Objekten, die einen Rahmen für die Bewegungen vorgeben. Gläser, auf denen ein Tänzer über die Bühne balanciert. Anschaulich schön auch, der polternde Expressionismus. Skurrile Tänzer in skurrilen Kostümen. In einem Zerrspiegel taucht eine Hexenfrau auf. Ein Bild, das an die wilden Innenwelten des Malers Otto Dix erinnert.
Die Tänzer bringen Dynamik auf die Bühne, die mitreißt. Ihr Stück lebt von Kontrasten, von den wechselnden Kostümen, von der Stille, die von dem Lauten verdrängt wird, vom Langsamen, das plötzlich rast, vom dem Solotanz, der zum Paartanz wird und dann alle Tänzer einbezieht. Dennoch bleibt dem Zuschauer genug Zeit, sich einzustellen. Wie Momente des Innehaltens wirken die Standbilder, die immer wieder in die Choreographie eingebaut sind und die Bewegung zum Stillstand bringen.
Doch trotz der schönen Tanzbilder geht die Idee von dem Stück nicht auf. Was keine Aneinanderreihung verschiedener tänzerischer Konzepte werden sollte, wird genau das. Jede Stimmung, die der Tanz entstehen lässt, wird gebrochen vom Wort. So hat beim Betrachter bald der Kopf und nicht mehr das Gefühl die Oberhand. Zu anspruchsvoll sind die Theorien, die auf das Publikum niederprasseln. „Die Form ist die unbewegliche Zeichnung der Bewegung an sich“, „Denken ist wiegen. Ohne die Erfahrung der Schwerkraft überlebt der Gedanke nicht. Es ist der Geist, der denkt, nicht der Körper“. Für solche Sätze braucht man Zeit. Sonst huschen sie vorbei wie Schatten, nichts bleibt.
Zum Schluss das Happening. „Im literarischen Sinn besteht ein Happening aus Events, die stattfinden, Events, auf die man unmittelbar und spontan reagiert“, sagt die Stimme aus dem Off und erinnert an Jackson Pollock’s „action painting“. Handwerker-Tänzer kommen auf die Bühne und beginnen, abzubauen: Platte für Platte. Sie nehmen Kreide, schreiben die große Tafel an der Bühnenwand mit Begriffen und Persönlichkeiten des zeitgenössischen Tanzes voll. Pina Bausch steht da, Energie, freier Tanz und Vaslav Nijinski. „Was ist zeitgenössischer Tanz?“, fragt eine Darstellerin und blickt zur Tafel. Eine Summe verschiedener Tanzstile und Choreographen, die sie geprägt haben. Eine Summe, die nicht mehr und nicht weniger ist, als die ästhetische Sammlung von Einzelteilen. Das zeigt die Tafel, das hat der Abend gezeigt.
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