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Kultur: Der Blick von unten nach oben

Von Schlaatzern und Schlössern II im HOT

Stand:

Am Anfang mussten die Zuschauer hoch schauen, ganz nach oben, dorthin, wo die Throne standen, auf denen sie saßen und schliefen: Prinzessin Prinzesschen, die draufgängerische Fußballspielerin (Helma von Zadow) auf ihrer rotsamtenen Chaiselongue, der sein Geld an der Börse machende Prinz Neureich (Robert Niemeyer) auf seinem funktionalen Bürostuhl, das Bildungsprinzesschen (Monique Zühlke) auf einem hohen, strengen Lehnstuhl, neben dem sich die Bücher stapelten. Daneben räkelte sich unter einem Sonnenschirm die Friedensprinzessin (Nadine Hiller). Maja Denkert als Prinzessin Scheinheilig saß schlafend auf dem Stuhl mit den Engelsflügeln und auf einem grellhellbraunen Fernsehsessel schließlich „Prinz Einstein“ (Nikals Tietze), der später für seine bahnbrechende „Realitätstheorie“ in eine Falle namens Nobelpreisnominierung gelockt wurde.

Beim „Hinspiel“ hatten Ende April ausgebildete Schauspieler mit einem von Thomas Freyer geschriebenen Stück den Schlaatzern im Schlaatz einen vermeintlichen Spiegel vorgehalten. Das „Rückspiel“, das am Samstagabend in der Reithalle A Premiere feierte, war dagegen mit Schülern aus dem Schlaatz und ihren Freunden besetzt. So waren die Bedingungen sehr ungleich. Sie setzten auf eine gewisse Weise die Ungerechtigkeit der Güterverteilung fort. Natürlich spielen Schüler ohne Schauspielausbildung ganz anders als Hochschulabsolventen – und so war es fast eine doppelte Benachteiligung des Schlaatzes dadurch, dass seine Repräsentanten im HOT dann eben nicht immer ganz fein sprachen. Vieles machten sie aber durch die Spontaneität in der Darstellung wett sowie durch die interessanten Ideen, wie sie Potsdam denn verändern würden, wenn sie die Macht hätten – oder dem Volk die Macht geben würden.

Was sich zwischendurch wie eine spontane Klamaukgeschichte oder eine Krimistory ansah, speiste sich aus einer Menge Quellen. Bekannte Songs wie „Money Money makes the world go round“ oder die allgegenwärtige Fernsehästhetik waren in dem Potpurri ebenso angesagt wie Erpressungsgeschichten, Wahlversprechen und Bürgerbefragungen und natürlich die Diskussion um das Stadtschloss. Das Stück lebt doch aus dem Blick von unten nach oben, sinnfällig dargeboten in dem guten Bühneneinfall (Matthias Schaller), der die Zuschauer zwang, zu den Reichen und Neureichen nach oben zu schauen.

Anders als bei dem Hinspiel im Schlaatz aber handelte es sich bei dem „Schlösserdrama“ nicht um eine abgeschlossene Handlung, sondern um eine Aneinanderreihung von Szenen, bei denen viel in Bewegung geriet: Vor allem natürlich Potsdam, dessen bessere Wohnviertel sich die sechs Prinzessinnen und Prinzen untereinander aufgeteilt hatten. Als sie aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht waren, sich ordentlich geräkelt und gegähnt hatten, entwickelten sie Ideen für die Stadt, die sie zur „Hauptstadt Deutschlands“ machen wollten: mit einem Freizeitpark beglücken, eine Käseglocke drüberstülpen, im Holländischen Viertel einen Golfplatz errichten ... und dergleichen mehr. Das Hotel Mercure spielte dabei ebenso eine Rolle – vor allem, als es auf der Videoleinwand in Flammen aufging – wie auch das Karl-Liebknecht-Stadion, das ebenfalls brannte. Die tumultartigen und nicht immer ganz logischen Handlungsstränge brachten die royalen Machthaber irgendwann dann doch noch zum demokratischen System. Da wurden große Wahlversprechen gemacht, und das Publikum stimmte gegen die Partei, die die ärmeren Wohnviertel wie Schlaatz und Drewitz an Berlin verkaufen wollte – und für die Guten: die Partei für Gleichheit und Gerechtigkeit, die für ein freudvolles Miteinander stand. Das ging alles ziemlich schnell und mit viel Klamauk über die Bühne, aber das Thema hätte es verdient, weiter verfolgt zu werden. Ein Anfang, sicherlich. Und immerhin mit der interessanten Einsicht am Ende, dass der Schlaatz kein See ist.

Lore Bardens

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