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Die Bühne als Erlebnis. Beim Theaterfest konnten Besucher am Samstag auch die Bühne des Hans Otto Theaters in der Schiffbauergasse ganz aus der Nähe betrachten – unter anderem viele Flaschenzug-Seile, die von sonst unsichtbaren Trägern baumeln.

© Johanna Bergmann

Theaterfest in Potsdam: Der blutige Bauch der Kunst

Beim Theaterfest öffnete das Hans Otto Theater am Samstag für Gäste seine Trickkiste. Ein Rundgang.

Stand:

Schönheit und Neugier gehen oft nicht gut zusammen. Je genauer man hinsieht, desto fauler wird der Zauber. Es ist ein bisschen wie in der Chirurgie: unter seiner hübschen Hülle ist der Mensch eine blutige, mehr oder weniger funktionierende Fabrik. Das heißt aber auch: Schönheit und Neugier gehen nicht ohne einander. Die Fabrik muss schließlich laufen. Vielleicht deshalb lässt sich das Hans Otto Theater einmal im Jahr – zu Spielzeitbeginn – in die Eingeweide gucken.

In Kostümfundus und Requisite, wo eine falsche AK47 neben einem Koffer voll Falschgeld liegt, und sich Sushi, Sandwiches und Sahnetorten aus Schaumstoff und Styropor stapeln. Das Sushi ist mit grünem Filz als Algen-Ersatz umwickelt, die falsche Mayonnaise in einem zarten Servierschälchen mit einer Spur gelblichen Klebstoffs fixiert. Das alles fällt einem nie auf, wenn man im Zuschauerraum sitzt, es ist zu weit weg, die Kraft der Erzählung spült ohnehin jeden Zweifel weg.

Jetzt, da man die Bühne durchschritten hat – sie wirkt von oben viel kleiner – und in die Tiefen des Bühnenraums eingedrungen ist, wirkt das Gummi-Essen ziemlich eklig. Aber durch den Ekel muss jeder Chirurg hindurch auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens.

Am vergangenen Samstag also war wieder Theaterfest – und eine ganze Menge Menschen waren da auf der Suche nach dem Zauber hinter dem Zauber. Eigentlich keine große Überraschung, dass sich dabei die meisten für das Gefährliche interessieren: Vor dem Käfig – jawohl, Käfig – mit den Waffen. Offen dürfen sie nicht aufbewahrt werden, ohne Einweisung bekommt sie auch kein Schauspieler in die Hand, sagt die Requisiteurin. Gleich daneben fast noch mehr Andrang: Christoph Bergmann lässt es brennen. Er ist zuständig für Pyrotechnik am Haus und stopft einen winzigen Bausch Watte in einen kleinen Zünder. Eine Riesenflamme pufft auf, nichts bleibt zurück, keine Asche, keine angekokelten Augenbrauen.

Die Pyrowatte ist nur einer der kleinsten Effekte, es lässt sich viel mehr Feuer auf der Bühne erzeugen – dafür aber braucht man eine eigene Ausbildung und ziemlich viel Vertrauen vom Theater. Wer Pyrotechniker werden will, sagt Bergmann, der wird erst einmal selbst durchleuchtet. Von allen Behörden. Und demonstriert dann – unfreiwillig – dass der Funke nicht immer überspringt. „Kannst du mir mal Feuer machen?“, fragt ein kleines Mädchen. Als die Pyrowatte aufflammt, ist es schon ungerührt weitergelaufen. Auch der beste Effekt braucht eben eine Inszenierung.

Darum geht es. All die Menschen, die, sonst unsichtbar fürs Publikum, so viel Arbeit ins noch so kleine Detail stecken, sind Teil der großen Erzählung. Sie bringen die Kunst zum Funkeln. Das letzte Geheimnis aber, das liegt irgendwo in der Kunst selbst und ist – wie die menschliche Seele – auch beim tiefsten Wühlen in den Organen nicht entblößbar.

Dass das so ist, wird am Samstag in den kleinen Vorschauen auf die kommenden Inszenierungen sichtbar. Die finden in den warmen Kammern im Bauch des Theaters – und nicht wie sonst auf der Bühne – statt. Auf der Hinterbühne etwa liest Schauspieler Christoph Hohmann „Der Äthiopier“ – die Erzählung von Ferdinand von Schirach um einen glücklosen Bankräuber. Außer Hohmanns Stimme gibt es in dem dunklen, stickigen Raum keine Inszenierung für die Geschichte dieses Außenseiters, der ein einziges Mal im Leben Liebe findet – und sie beinahe verliert. Schirachs Sprache ist völlig frei von Effekten – und umso effektiver. Auch nach der besten Inszenierung – das ist der unerklärliche Rest der Kunst – könnte man kaum aufgewühlter sein.

Aber es gibt noch mehr zu entdecken, das Hans Otto Theater hat viel vor in der der kommenden Spielzeit. „Terror“ etwa, das erste Theaterstück von Schirach, handelt von der einen, grundsätzlichen Frage, um die es, wenn man ehrlich ist, bei der Angst vor Terror immer geht: Was wiegt die Würde des Menschen; was ist uns der Rechtsstaat wert? Das ganze Stück ist ein Prozess – gegen Lars Koch, einen jungen Piloten der Bundeswehr, der gegen den ausdrücklichen Befehl ein Passagierflugzeug mit 164 Menschen abgeschossen und so 70 000 gerettet hat. Auch eine Uraufführung – „Abend über Potsdam“ von Lutz Hübner – ist dicht dran an den ethischen Fragen der Zeit, auch wenn es in der Vergangenheit spielt. Die jüdische Malerin Lotte Laserstein lädt Freunde in ihr Atelier, um sie auf einem großen Porträt zu vereinen – und muss feststellen, dass einige unter ihnen sich mit den Ideen der Nazis anfreunden.

Fein überlegt übrigens vom Hans Otto Theater: um den Frieden – und den Hass – zwischen den Religionen geht es natürlich auch in Lessings „Nathan der Weise“, das mit Jon-Kaare Koppe als Nathan bei aller Ernsthaftigkeit ganz leicht und spielerisch zu werden scheint. Wie er das hinbekommt – schon in der winzigen Szene, die es in einer der Werkstätten am Samstag zu sehen gab – das ist wohl auch so ein unerklärlicher Rest, das unenthüllbare Geheimnis der Kunst.

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