Kultur: Der Dichter und sein Kreis
Thomas Karlauf und Alexander Gauland diskutierten in der Villa Quandt über Stefan George
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Eine Biografie von knapp 800 Seiten und alles was von dem Beschriebenen überdauern wird, sind ein paar Gedichte. Lohnt es dafür überhaupt Thomas Karlaufs Biografie über „Stefan George. Die Entdeckung des Charisma“ zu lesen? Es lohnt nicht nur. An dieser Stelle sei dies sogar dringend empfohlen! Karlaufs Buch ist mehr als nur Lebensbeschreibung. Es ist Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, Klatsch und Tratsch, Intrigen und Verzweiflung und so leicht und fesselnd geschrieben, dass man beim Lesen nur selten daran erinnert wird, es mit einer Biografie zu tun zu haben, die auch heute noch allzu oft als trockener und ermüdender Erzählstoff präsentiert wird.
Es war eine berechtigte Frage, als am Sonntag bei der Matinee in der Villa Quandt einer der knapp 50 Gäste sich nach der Aktualität des Dichters Stefan George erkundigte, der 1868 geboren wurde und 1933 an den Folgen eines langjährigen Nierenleidens verstarb. Thomas Karlauf, der gekommen war, um seine Stefan-George-Biografie vorzustellen und mit dem Publizisten Alexander Gauland darüber zu diskutieren, sorgte mit seiner Antwort für Ernüchterung. Ein paar Gedichte werden überdauern und die Aktualität Georges sichern, sagte Karlauf. Vom berühmt-berüchtigten George-Kreis, seiner Gesellschafts- und Staatsutopie werde wohl bald nur noch im Zusammenhang mit dem Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg die Rede sein.
Als Karlaufs Buch im vergangenen Jahr auf den Markt kam, war der Jubel groß. Fast durchweg Kritiken, die diese Biografie in den höchsten Tönen lobten. Nur gelegentlich wurde moniert, dass Karlaufs Beschäftigung mit Georges Homosexualität und dessen Freude an „hübschen Knaben“ etwas zu intensiv ausgefallen sei.
Auch eine von Gaulands Fragen, der in dem Gespräch mit Karlauf sich angenehm angriffslustig gab, zielte auf die Homosexualität Georges. Ob dieser nicht zuerst einmal ein schlichter deutscher Dichter gewesen sei, der ein paar der schönsten Verse geschrieben habe, so Gauland. Und schob dann noch eine immer wieder gern angebrachte Provokation nach: Nehme man bei George die Homosexualität weg, bleibe nicht mehr viel.
Karlauf betonte die Konsequenz und Radikalität in der Sprache Georges, der für ihn einer der Hauptakteure des beginnenden Naturalismus in der deutschen Lyrik am Ende des 19. Jahrhunderts war. George schuf etwas Neues, das zum damaligen Zeitpunkt nur wenige erkannt hätten. Die, die Georges Außergewöhnlichkeit erkannten, verfielen nicht selten diesem Meister der Selbstinszenierung.
George scharrte in seinem Leben zahlreiche junge Männer um sich, die ihn wie einen Guru bedingungslos verehrten. Mehrmals sprach Karlauf von Sekte, wenn er über den George-Kreis redete. Ein Männerbund, der sich auf Emotionen gründete. Auf der einen Seite George, dessen Zuneigung Gradmesser in der Hierarchie des Kreises war. Auf der anderen Seite die Jünger, die ihrem Meister mit willenloser Hingabe ergeben waren.
Karlauf sagte zu Recht, dass dieser Männerbund aus heutiger Sicht äußerst befremdlich wirken muss. Doch in der stark bruchhaften Zeit um die Jahrhundertwende waren nicht wenige fasziniert von dem sich elitär gebenden George-Kreis und deren überhöhten Idealen einer Gemeinschaft, die an antiken Grundsätzen orientiert, ein vereintes Europa in eine leuchtende Zukunft führen sollte. Dass die Nationalsozialisten Gefallen an dieser Idee fanden und George für sich zu instrumentalisieren versuchten, erscheint da schon fast zwangsläufig. Doch George hielt sich zurück. Sein Tod im Dezember 1933 bezeichnete Karlauf als Glücksfall in dessen Leben. Wer weiß, wie sich der Dichter im weiteren Verlauf gegenüber der nationalsozialistischen Politik verhalten hätte. Wie stark die überhöhten Heilserwartungen aus dem George-Kreis nachwirkten, zeigt das Beispiel Stauffenberg.
Nach dem missglückten Hitler-Attentat rief Stauffenberg vor seiner Exekution am Morgen des 21. Juli 1944, die Idee des George-Kreises beschwörend: „Es lebe das geheime Deutschland“.Dirk Becker
Dirk Becker
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