Kultur: Der Drache
Das Theater „marameo“ auf dem Pfingstberg
Stand:
Was tun, wenn man befreit werden kann, aber gar nicht befreit werden will? Wenn eine Gemeinschaft eher Menschenopfer bringt, als ihrem Joch abzuschwören, und wenn aus der letzlich geschenkten Unabhängigkeit ein böseres Joch wird als jemals zuvor? Der russische Schriftsteller Jewgeni Lwowitsch Schwarz (1896-1958) hatte sich noch während des Zweiten Weltkrieges mit diesem Thema beschäftigt. 1944 lag dann die zweite Fassung der Märchenkomödie „Der Drache“ vor. Erstaunlich, dass Stalin sie durchgehen ließ. 20 Jahre später hatte das unter jeder Fahne aktuelle Stück in der Regie von Benno Besson am Deutschen Theater in Berlin DDR-Premiere. Andreas Lüder, Chef des freien Theaters „marameo“, war damals an diesem Haus tätig. Lange noch, erzählte er bei einem Probenbesuch auf dem Pfingstberg am gestrigen Mittwoch, hätten Großdarsteller wie Rolf Ludwig und Eberhard Esche von dieser sagenhaften Inszenierung mit 500. Aufführungen geschwärmt. Sagenhaft geht es in diesem tragikomischen Stück ja auch zu, in dem der dreiköpfige Drache Charlesmagne eine gut bürgerliche Stadt beherrscht. Damit Frieden bleibe, verlangt das gefräßige Vieh nicht nur eine Unzahl von Kühen, Schafen und Ziegen, sondern pro Jahr noch eine Jungfrau zum Schmaus. Das geht so seit Langem, man gewöhnt sich daran. Doch während diesmal die schöne Elsa auserwählt ist, kommt der fremde Ritter Lanzelot plötzlich diesem tödlichen Kontinuum dazwischen.
Nach einer Serie mehr oder weniger gelungener Klassiker wie Kleist und Schiller zeigt das Theater „marameo“ – eine Truppe von Theaterleuten aus Magdeburg und Potsdam – diesen Klassiker des 20. Jahrhunderts als Sommertheater auf dem Pfingstberg. Eine Premiere rundum, denn Potsdamer Auftritte waren bisher stets mit dem Hof der „Grand Ecole“ im Zentrum der Stadt verbunden. Das haben die Bürger leider nicht angenommen, erklärte Andreas Lüder. Dem gastgebenden Pfingstberg-Verein war die Bewerbung der Theaterleute willkommen. Bisher spielten meist nur „Poetenpack“ und „Ton & Kirschen“ in den Cavaliers-Kulissen – und da liefen die Leute sogar bergauf! Am Donnerstag, dem 16. August, wird die imposante Nordwand des Gebäudes den natürlichen Hintergrund für einen Drachen abgeben, der das verkrüppelte Wesen seiner Untertanen genau kennt und zu Lanzelot sagt: „Wenn du ihre Seelen sehen könntest, du würdest erzittern.“ Seine drei Köpfe stellen die Schauspieler Cyrus David und Kurt Eichmann dar, Sandra Käpernick ist Jungfrau Elsa, Cyrus Rahbar der tragische Befreier des Ortes. In Ermangelung ausreichender Figuren im Personal wird der Besucher ersucht, die Rolle des städtischen Bürgertums selber zu spielen.
Ein kluges Stück, ein poetisches Stück mit vielen Ebenen, märchenhaft schön und auch knallhart, schwärmt Lüders. Er hatte Bessons Inszenierung zwar damals verpasst, aber was macht das schon, der Opportunismus ist so unsterblich wie menschliche Dummheit. Da heißt es von irgendwo her: „Es wird beschlossen, dass alle sehr glücklich werden sollen“ – und alle machen mit. Es gibt keinen Ort ohne Drachen. Er herrscht überall und zu jeder Zeit und das in mancher Gestalt: mal Diktator, mal Finanzhai oder Held der Demokratie. Der Bürger trägt es immer gefällig! Gespielt wird durchaus realistisch, wobei auf viel Action verzichtet wird – nicht aber auf den sprechenden Kater und eine weissagende Geige. Gerold Paul
Premiere am 16. August um 20.30 Uhr auf dem Belvedere auf dem Pfingstberg
Gerold Paul
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