Kultur: Der Ernst des Karfreitag und die Freude von Ostern
Veranstaltungen in der Friedenskirche Sanssouci, in der Französischen Kirche und in der Heilandskirche Sacrow
Stand:
Mitten hinein in den Ernst des Karfreitags führte die „Musik zur Sterbestunde“ in der Friedenskirche Sanssouci. Seit rund fünfzehn Jahren gibt es diese nachmittägliche Andacht. Auch in diesem Jahr fanden sich zahlreiche Zuhörer ein, um Christi Tod zu gedenken. Zur „Einstimmung“ auf dies Kerngeschehen des Christentums diente Musik und Wort. Während die Musik eine eher meditative Funktion übernahm, dienten die Worte der Reflexion und der Kritik. Im Zusammenklang beider entfalteten sich eindringliche Vorstellungen des biblischen Geschehens.
Engelsgleich schwebende Klänge verströmten vierstimmige Motetten von Giovanni da Palestrina, Jacobus de Berchem und Luis de Victoria, die der coro campanile unter der Leitung von Matthias Jacob von der Empore sang. Dergestalt musikalisch beflügelt konnte die Vermittlung der Heilsgeschichte zwischen Erde und Himmel problemlos vonstatten gehen.
Auch das Solo für Violine mit dem bezeichnenden Titel „Devotion“ („Widmung, Hingabe, Verehrung“) von Jean Sibelius, das Wolfgang Hasleder aus vollem Herzen heraus – zumindest klang es so wie angegeben „Ab imo pectore“ – spielte, steigerte das Sich-Hineinversenken dieser Passionsmeditation zunehmend. Es ist ein exzentrisches, ernsthaftes Stück, mit repetierten, stetig verdichteten Violinaufschwüngen jenseits jeglicher sentimentalen Süßigkeit. Die Chorsätze des litauischen Komponisten Vytautas Miskinis verschmolzen faktische Vergangenheit und zeitlos gültige Aussagen der Bibel in einer vibrierend modernen, vielfarbig schattierten Klangsprache.
Max Regers Choralkantate zum Karfreitag über das Kirchenlied „O Haupt voll Blut und Wunden“ stellte den musikalisch-poetischen Höhepunkt der Andacht dar. In diesem einzigartigen Passionslied von Paul Gerhardt wird das biblische Erlösungsversprechen in ungemein drastischen, quasi filmischen Bildern verdichtet. Dass die Melodie, die auch Johann Sebastian Bach auszugsweise in seiner Matthäuspassion verwendet hat, auf einem Liebeslied beruht, verwundert nicht. Schließlich benennt Gerhardts Barock-Gedicht Angst, Verzweiflung, Anfechtung, jedoch mit Gottvertrauen. Diesen Gedanken gibt Max Reger in seiner abwechslungsreich instrumentierten Kantate leuchtende Klangbilder. Je zwei Sopran- und Alt-Stimmen (Anne und Kristiane Krauss, Britta Seesemann und Solveigh Wallroth), der Chor sowie Oboe (Kirstin Lagemann), Orgel (Matthias Jacob) und Violine (Wolfgang Hasleder) weben für jede einzelne der zehn Strophen neue farbenprächtige Tongemälde.
Noch tieferen Ernst erhielt die Karfreitagsandacht durch Texte, die von Klaus Büstrin ausgewählt und vorgetragen wurden. Zwei gedankenvolle Gedichte von Lothar Petzold und Fritz Roos über den Gekreuzigten alternierten mit drastischen Szenen der Kreuzigung aus dem Johannes-Evangelium sowie mit einem Text von Jörg Zink. Der protestantische Theologe, einer der bekanntesten unserer Zeit im deutschen Sprachraum, reflektiert darin kritisch über das Kruzifix als Symbol der Christenheit. Eigentlich sei das Kreuz doch ein Folterinstrument, ein „Schandstück menschlicher Henkersphantasien“ und kein Schmuckstück, hieß es. Was bei den Römern die grausamste Tötungsart für aufständische Terroristen gewesen sei, fände bis heute in zahlreichen Variationen „des Hügels von Golgatha“ seine Fortsetzung. Babette Kaiserkern
Es gibt für den religiösen Menschen viele Wege, den Tag der Kreuzigung Christi zu begehen, denn nicht nur einer allein führt zu ihm hin. In der Französischen Kirche zeigte man am Karfreitag einen ganz anderen auf, als man das bisher wahrzunehmen gewohnt war. Zuerst einmal war der calvinistische Rundbau zur Sterbestunde, das ist gegen 15 Uhr jetziger Zeit, richtig voll. Zwei Drittel gehörten nicht zur Gemeinde, wie man erfuhr, viel Jugend dabei, was immer gut ist. Eine kurze Begrüßung durch Pastorin Hildegard Rugenstein wies auf die unterschiedlichen „letzten Worte Jesu“ am Kreuz in den vier Evangelien hin. Zuvor spielte Christoph Förste auf der barocken Grüneberg-Orgel von 1783 den programmatischen Choral „Wir glauben all“ an einen Gott“. Nachdem die Zuhörer den Psalm 31 nach einer Melodie aus dem Genf von 1551 gesungen hatten, begann der Hauptteil der Veranstaltung, und der war so eindrucksvoll, dass nicht wenige am Ende ohne jede Übertreibung wie benommen über die Halbstufe am Ausgang stolperten, als hätte sie der heilige Geist selber berührt. Was hatte das alles denn nur bewirkt?
Unter dem verlässlichen Dach der Davidschen Psalmen erlebte man vielleicht eine der urwüchsigsten Arten, wie innig und raumgreifend ein Mensch mit seinem persönlichen Gott Umgang pflegen kann. Der Schauspieler Christian Klischat vom Hans Otto Theater hatte allerlei Texte zu einer Collage geformt, in deren Mittelpunkt sein (oder ein) Ich im Proporz zum Ewigen stand. Dieses Psalmrecital berief sich auf die Luther-Übersetzung, auf Ernesto Cardenal, Hanns Dieter Hüsch und Arnold Stadler, aber auch von David inspirierte zen-buddhistische und muslimische Meister erhielten das Wort. Formal folgte diese sehr persönliche, mit ungeheuren Energien aufgeladene Darstellungsform dem Lebensweg eines Menschen von seiner „Erleuchtung“ bis in die Zeit seiner Sieche. Emotional ließ er – soll man Darsteller sagen? – nun gar nichts aus, was einen am Karfreitag im Innersten bewegen könnte: Er flehte und bat, flüsterte und schrie, raste und harrte, unbändige Freude wechselte mit bitterer Betrübnis über eigener Schwächen, er schickte die eitle, machtgierige Welt samt aller Ämter tief in den Orkus, er lachte und weinte – alles ist unwichtig, wenn nur sein Gott bei ihm ist und zu ihm hält, wie er es verspricht. Dann ist ihm die Welt egal, dann amüsiert er sich, wenn jemand meint, die Jahreszeiten seien von selbst entstanden wie die Materie. Irgendetwas sei ohne Ihn? Dieser Mann ist von Gott angenommen an jenem Karfreitag, gibt es Erhabeneres? Das Mächtigste war jener Teil, den Klischat in die Rundkirche schrie. Hier spürte jeder sofort, was dieser vielzitierte Satz in der Bibel bedeutet und gar bewirkt, hier war die Grenze zwischen Theater und Liturgie überschritten. Alles war „echt“.
Diesem zupackenden, treffenden, im wahrsten Sinne mitreißenden Gott-Erleben gab Luise Röhrig Klänge auf ihrem Violoncello dazu. Aus Bachs Menuetten und Suiten, etwas Rubinstein, die Sonatine von Beethoven, Elgar, Jiddisches. Manchmal wurde den Texten auch nur etwas Pizzicato untergelegt. Das Publikum war wie betäubt.
Gerold Paul
Der weite Weg von Potsdams Innenstadt bis in den Vorort Sacrow war am frühen Morgen alles andere als österlich. Schnee fiel. Man meinte, man fahre in den Winter und begebe sich in einen Weihnachtsgottesdienst. Nein, die vielen Gemeindeglieder feierten in der Heilandskirche eine Ostermette. Es wurde ein sehr fröhliches Auferstehungsfest mit Kantor Matthias Trommer, Sängerinnen und Sängern, Instrumentalisten sowie vielen hellwachen Frühaufstehern. Mit Chorsätzen alter Meister und Komponisten unserer Zeit, von Instrumenten begleitet, kam eine bewegende und frohmachende Musik zustande, die auf Mitwirkende und Gemeinde ansteckend wirkte. Der kleine Chor der Pfingstkirche Potsdam sowie die Mezzosopranistin Marina Phillipova haben, obwohl der frühe Morgen den Stimmbändern nicht immer hold war,
mit viel stimmlicher Kraft und Schönheit die österliche Musik dargeboten. Die Gemeinde wurde immer wieder zum Mitsingen ermuntert: „Wir wollen alle fröhlich sein“. Zum Schluss erhielt jeder eine Osterkerze. Was kümmerte einem danach das kalte Wetter? Ostern stellet sich in der Heilandskirche auf wunderbare Weise ein. Günter Brüning
Babette Kaiserkern
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