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Klein, aber ganz besonders fein. Chefdirigent Antonello Manacorda mit der Schubert-CD.

©  Manfred Thomas

Kultur: Der erste Streich

„Nr. 3 & 7“: Kammerakademie mit erster CD der geplanten Gesamtaufnahmen von Schuberts Sinfonien

Stand:

Ein Samstag im April, vor fast genau einem Jahr. Die Kammerakademie Potsdam hatte zum Konzert in den Nikolaisaal geladen, als Solistin war die Pianistin Mihaela Ursuleanu angekündigt. Auf dem Programm stand Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur, und Schubert und Strawinsky. Gekommen war man an diesem Abend vor allem wegen Mihaela Ursuleanu und Beethoven. Was Schubert und Strawinsky betraf, waren die Erwartungen nicht sehr groß.

Mihaela Ursuleanu spielte Beethoven mit Rasanz und großer Geste. Fast schien es, als wollte sie die Kammerakademie in Sachen Geschwindigkeit an die Grenzen bringen. Ein beeindruckender Auftritt. Aber nicht einer, der bleibt. Dann kam Schubert, die Sinfonie 3 in D-Dur. Und etwas passierte.

Nun soll an dieser Stelle nicht von einem Erweckungserlebnis die Rede sein. Aber was die Musiker der Kammerakademie unter Leitung ihres Chefdirigenten Antonello Manacorda an diesem Abend vollbrachten, war ein Auftritt der bleibt. Franz Schubert und seine Sinfonien, ein Kapitel in der Musikgeschichte, das man bisher wenig bis kaum beachtet hatte, dieser Abend sollte der Beginn einer Entdeckung sein. Am gestrigen Dienstag stellten Antonello Manacorda und Frauke Roth, Geschäftsführerin der Kammerakademie Potsdam, mit „Sinfonien Nr. 3 & 7“ die erste von insgesamt vier geplanten Einspielungen mit den Sinfonien von Franz Schubert vor. Und schon beim Hören der ersten Takte des „Adagio maestoso – Allegro con brio“ ist da wieder dieses Gefühl wie an jenem Samstagabend im Nikolaisaal. Das mag einerseits daran liegen, dass diese Einspielung von Schuberts 3. Sinfonie vom besagten Abend stammt. Andererseits ist es aber auch ein Zeichen, Bestätigung dafür, dass dieser Abend, dieser Auftritt einer war, der bleibt.

Klar und schlank im Ton, kraftvoll und auf den Punkt gebracht, schnörkellos und immer von einem gewissen frischen Glanz getragen, so lässt Manacorda die Kammerakademie Schuberts 3. Sinfonie spielen. Im Jahr 1815 soll Schubert die vier Sätze in nur neun Tagen komponiert haben. Gerade einmal 18 Jahre alt war Schubert da und was sein kompositorisches Schaffen betrifft, in einem regelrechten Schaffensrausch. Das jugendlich Selige, leicht Unbändige, diese Lust am Leben und Komponieren, all das ist mit der Kammerakademie zu erleben. Und die Einflüsse von Mozart und Haydn und Beethoven, vor allem aber Schuberts Begeisterung für die italienische Oper, all das blüht im Spiel der Kammerakademie auf wie eine Wiese unter wärmster Frühlingssonne. Ein federleichter, tolldreister und überschwänglicher Klangrausch, bei dem auch mal die Bögen geräuschvoll aufschlagen.

Es ist dieses Einfache, das Populäre in den Sinfonien, das Antonello Manacorda an Schubert so schätzt. Hier überwiege nicht die Moral, die Tugend und das Philosophische wie bei Beethoven. Eine einfache Sprache, die mehr das Herz als den Verstand berührt. Vielleicht auch einer der Gründe, warum die 12 Sinfonien, davon fünf unvollendet, bei Konzertveranstaltungen selten auf dem Programm stehen. Für Manacorda ist Schubert, was sein sinfonisches Schaffen betrifft, sogar noch wichtiger als Beethoven, weil hier deutlich eine Brücke zwischen Klassik und Romantik und Spätromantik zu erkennen ist. „Es steckt sehr viel Mahler und Bruckner in der Musik Schuberts“, so Manacorda. Für ihn, der seit der Saison 2010/2011 Chefdirigent der Kammerakademie ist, eine wunderbare Möglichkeit, das Repertoire des Potsdamer Kammerorchesters zu erweitern. Davon hatte Manacorda schon im Mai 2010, bei seiner Vorstellung in Potsdam gesprochen. Wie perfekt die Musiker der Kammerakademie darauf reagierten, war schon bald in den Konzerten zu erleben. Und nun auf der ersten Schubert-CD.

Dass das Tonhalle-Orchester Zürich unter Leitung von David Zinman und das Barockensemble Les Musiciens du Louvre unter Leitung von Marc Minkowski ebenfalls Gesamteinspielungen der Sinfonien von Schubert planen, sieht Manacorda nicht als Konkurrenz. Im Gegenteil, für ihn können unterschiedliche Einspielungen nur eine Bereicherung sein. Und selbstverständlich wolle sich die Kammerakademie nicht mit solchen Orchestern messen. „Musik ist schließlich keine Olympiade bei der es um erste Plätze geht“, so Manacorda. Unterschiedliche Sichtweisen auf das Werk eines Komponisten, dem zu lange nicht die entsprechende Beachtung zugestanden wurde, das bieten die verschiedenen Einspielungen. „Und was hier drin ist, das ist Leben“, sagt Manacorda, während er eine CD in den Händen hält. Leben vor allem, weil die Sinfonien in Konzertatmosphäre aufgenommen wurden und mit der 3. und 7. , der „Unvollendeten“, einmal den frühen und einmal den späten Schubert zeigen. Während in der 3. das Lichte, Lebensfrohe einen Überwältigungszauber wirken lässt, überwiegt in der „Unvollendete“ das Dramatische. Doch in beiden so unterschiedlichen Klanggemälden ist es Schuberts einfache und von populären Themen durchwobene Klangsprache, die von der Kammerakademie unter Manacordas Hand wunderbar zur Geltung kommt.

Für Frauke Roth ist diese erste der Schuberteinspielungen endlich die Möglichkeit, sich allein als Orchester zu präsentieren. War die Kammerakademie in den vergangenen Jahren immer wieder als Begleiter von Solisten wie dem Bratscher Nils Mönkemeyer oder dem Flötisten Emmanuel Pahud in Erscheinung getreten, ist dieses Album nun eine ganz andere Art von Visitenkarte. Wenn hier strategisches Denken im nationalen und internationalen Konzertbetrieb deutlich wird, für den Hörer ist das alles viel einfacher: Dieser Schubert muss nicht gleich zu einem Erweckungserlebnis führen, eine Entdeckung ist er auf jeden Fall. Und auch wenn mancher jetzt die Nase rümpfen mag: Schubert mit der Kammerakademie und Manacorda ist reinster und höchster Genuss.

Schubert: Sinfonien Nr. 3 & 7 mit der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda ist bei Sony Classical erschienen

Dirk Becker

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