Kultur: Der gnadenlose Abschweifer
Der schwedische Jazzpianist Bobo Stenson bei den „Foyer-Variationen“
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Der schwedische Jazzpianist Bobo Stenson bei den „Foyer-Variationen“ Ein wenig unbeholfen, unsicher, fast schon abgehackt, wirkte es, wie Bobo Stenson am Freitagabend im Foyer des Nikolaisaals zu den Gästen sprach. Ein kurzes „Hallo“, eine vorsichtig-angedeutete Verbeugung und da er zum ersten Mal in Potsdam sei, wolle er sein Konzert auch mit einem schwedischen Volkslied beginnen. Die humorvolle Logik eines Jazzpianisten. Stenson schien den Worten nachzulauschen. Dem harten Klang von „Potsdam“, das P förmlich herausgeschossen. Sein klingendes, lang gezogenes Englisch, mit dem er kurz und bruchstückhaft etwas zu den Liedern sagte. Als Marotte eines Eigenbrötlers vor den Tasten hätte man dies abtun können, würde Stenson diesem Prinzip nicht auch in seiner Musik folgen. Über Stenson braucht niemand viel Worte zu verlieren. Nur ein paar Namen müssen aufgezählt werden, schon ist klar, in welcher Liga dieser stille Mann spielt: Sonny Rollins, Stan Getz, Jan Garbarek und Don Cherry. Seit über 30 Jahren, seit er 1971 zum ersten Mal auf einem Album in Erscheinung trat, zählt er zu dem Besten und Beständigsten, was in Sachen europäischen Jazz geboten wird. Am Freitag nur der 60-jährige Schwede allein am Steinway-Flügel, die Programmreihe „Foyer-Variationen“ am Anfang der Saison schon mit einem nur schwer zu überbietenden Höhepunkt. Während Stenson sich beim Reden auf das Wesentliche beschränkt, beweist er beim Spielen einen verdammt langen Atem. Unter zehn Minuten pro Lied scheint er es nicht zu machen. Doch wie bei seinen kurzen Ansprachen hält er es auf dem Klavier nur am Anfang mit dem Bruchstückhaften. Einfache Kadenzen, die er spielte, ihnen nach lauschte und daraus seine wunderbaren Balladen entstehen ließ. Mal verfolgte er ein Thema, ließ es fallen für ein anderes, verzettelte sich, um dann all diese Spielfäden mit losem Knoten wieder zusammen zu fügen. Stenson große Kunst besteht in seinem gnadenlosen Abschweifen. Und wer sich vom intellektuellen Habitus, der von wichtigtuerischen Kasperköpfen mit Penetranz immer wieder dem Jazz unterstellt wird, lösen konnte, der erlebte mit Sicherheit ein außergewöhnliches Konzert. Nicht mit sturer, analytischer Ernsthaftigkeit jeder Note folgend, sondern das Abschweifen auch bei sich zuzulassen. Den eigenen Gedanken folgen, selbst wenn man für kurze Zeit nur mit halbem Ohr zu hörte, Stenson holte einen mit Sicherheit zurück. Seine Eigenkompositionen, Ellingtons „African Flower“ und Colemans „Race Face“ wurden so in seiner lyrisch-minimalistischen Spielart nie langweilig. Eine „kurze“ Zugabe noch, ein Dankeschön und die angedeutete Verneigung und Stenson verschwand. Selbst nahm man manche seiner gespielten Bruchstücke mit und lauschte ihnen noch Stunden später nach. Die besten und überzeugendste Art, mit der ein Musiker seine ganz persönliche Handschrift in unseren Ohren hinterlassen kann. Im Nikolaisaal ist heute Abend um 20 Uhr Götz Alsmann zu erleben. In seinem Programm „Tabu“ frönt der „Freund altmodischer Musik“ seinem Wortwitz und subtilem Jazzhumor.
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