zum Hauptinhalt

Kultur: Der „Gottkönig“

Franz Binder über den Dalai Lama im Brandenburgischen Literaturbüro

Stand:

Es steht gar nicht gut um das „Land der Schneeberge“, um Tibet. Dass der Dauerkonflikt mit China zur Olympiade neu aufflammte, konnte das Brandenburgische Literaturbüro ja nicht wissen, als man im vergangenen Jahr die Vorstellung der Dalai Lama-Biographie von Franz Binder plante. Wegen der aktuellen Brisanz war am Donnerstag der nüchterne Saal der Quandt-Villa gut gefüllt. Geschichte und Gegenwart trafen an diesem Abend zusammen.

Manchem war der Münchner Autor und Fotojournalist Franz Binder, Jahrgang 1952, durch seine Bildbände über Zentralasien und den tibetischen Kulturkreis bekannt. Er ist dem geistlichen und weltlichen Oberhaupt dieses lange abgeschotteten Landes auch persönlich begegnet. Der Autor las u. a. das Kapitel über die Geburt des Dalai Lama im Jahre 1935, als Reinkarnation des 13. Lama, über die Proben zu seiner Erkennung sowie von der streng traditionellen Erziehung an der Seite seines Bruders bis zum vierzehnten Jahr. Neben der geistlichen Ausbildung standen Fächer wie Logik, dialektische Disputation und Sanskrit auf dem Lehrplan, weltliche wie Mathematik oder Chemie fehlten. In der Freizeit beschäftigte er sich mit der Reparatur von Uhren. 1949 wurde die chinesische Volksrepublik ausgerufen, ein Jahr später okkupierte Parteichef Mao Tibet, weil er meinte das Land gehöre schon immer zu China.

„Falsch!“, so Franz Binder, der keine Frage des gut vorbereiteten Moderatoren Frank Kallensee unbeantwortet ließ. Tibet war von alters her ein selbstständiger Staat, sogar mit eigenen Pässen und Briefmarken. Wenn die Chinesen heute alle Spuren dieser Kultur zu tilgen suchen, so deshalb, damit dem Reich der Mitte nicht der Zerfall drohe: auch bei den Uguren im Norden gäre es mächtig, nur erfahre die Welt davon nichts. Auf dem Dach der Welt brodelte es schon vorher. Nach einem blutigen Aufstand floh der Dalai Lama 1959 ins indische Exil, fast die gesamte Elite der tibetischen Gesellschaft folgte, mehr als 130 000 Menschen. Die Zentralregierung in Peking betreibt seitdem sehr konsequent eine Chinesierung, welche mit dem Bau der Eisenbahn Peking-Lhasa eine neue Qualität erreicht. Maos „Kulturrevolution“ 1966 bis 1968 hatte ja vorgearbeitet, von mehr als 6000 buddhistischen Klöstern stehen heute gerade mal noch ein Dutzend, ganz zu schweigen von zahllosen Toten. Es gab bewaffneten, vom buddhistischen Oberhaupt, dem „Gottkönig“, aber nicht gebilligten Widerstand.

Die Tibeter, mit fester Tradition in eine funktionierende, klösterliche Feudalstruktur eingebunden, waren stets „ein sehr kriegerisches Volk“, man hatte sogar schon einmal China besiegt und Peking besetzt. Heute hat das kommunistische China Besitz von Tibet ergriffen, was die Menschen dort nicht hinnehmen.

Der Dalai Lama, als prominenter „Medienliebling“ gehandelt, ist politisch machtlos, seine vor Jahrzehnten eingesetzte Exilregierung wird von keinem Land der Erde anerkannt. Er selbst wird in vielen Ländern herum gereicht als „Kuschel-Panda“, doch im Ernstfall hält es die internationale Politik mit Peking. Warum es sich mit den Chinesen verscherzen, man kann den Hochgeschwindigkeitszug auch woanders kaufen. Auch sein Einfluss im eigenen Hoheitsgebiet scheint zu schrumpfen. Zwar wie immer verehrt, hört man derzeit wenig auf ihn. Die Unabhängigkeit hat er ohnehin zugunsten „echter Autonomie“ aufgegeben – doch „China will wohl nicht mehr“. Im 73. Jahr trägt sich der stets bescheidene Dalai Lama (ein Ehrentitel aus der Mongolei) mit Rücktrittsgedanken. Wider alle Tradition könnte er seinen Nachfolger bestimmen, freie Wahlen ausrufen, sogar eine Frau an die „Spitze“ bringen, was Damen aus dem Publikum in der Villa Quandt spontan begrüßten.

Westliche Exil-Gedanken? Ja, aber nach Binder trägt er hoffnungsvollen Optimismus im Herzen. War der Ostblock nicht auch „total verkrustet“, bevor das Unerwartete kam?

Franz Binder, Dalai Lama, Eine Biographie, dtv 2007, 10 Euro

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })