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Duo. Gerlinger und Reinhardt.

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Lesung in "sans titre": Der Hund im Mensch

Karl-Friedrich Reinhardt und Schauspieler Michael Gerlinger lesenSchräges mit Tiefsinn. Am Donnerstag im Kunsthaus "sans titre".

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Ein Hund als Diktator einer lateinamerikanischen Hunderepublik. Skurril klingt die Idee, die die Titelgeschichte zum Sammelband „Herrn Humboldts letzte Reise“ von Karl-Friedrich Reinhard geworden ist. Am heutigen Donnerstag ab 20 Uhr wird Reinhard gemeinsam mit dem Schauspieler Michael Gerlinger im Kunsthaus „sans titre“ Auszüge aus seinen Kurzgeschichten, Theatermonologen und Gedichten vorlesen. „Sonst habe ich immer mit musikalischer Begleitung gearbeitet“, erzählt Reinhard. Heute dann eben mit Gerlinger, der aber schon angeboten habe, seine Ukulele mitzubringen.

Kennengelernt haben sich die beiden Wahlpotsdamer, als Gerlinger Gedichte von Paul Celan vortrug – einem deutsch-jüdischen Lyriker, in dessen Gedichten es immer wieder auch um den Tod seiner Eltern durch die Nationalsozialisten geht. „Paul Celan lesen, das wird schwierig“, dachte Reinhard – war dann jedoch schwer beeindruckt. Und Lesungen sind für Gerlinger, der unter anderem am Thalia Theater in Hamburg spielte, kein Neuland. Abgesehen von Celan hat er bereits Heinrich-Heine und Theodor Fontane rezitiert.

Wie hältst du's mit der Moral?

Reinhardts Texte schätzt er aufgrund ihres schwarzen Humors. „Sie sind sprachspielerisch, das macht mir auch Spaß.“ So erzählt die Kurzgeschichte „Herrn Humboldts letzte Reise“ von einem Journalisten, dem eines Tages ein Hund ans Bein pinkelt. Dieser entschuldigt sich sogleich für seine unverzeihliche Unachtsamkeit – und nachdem die Aufregung über einen sprechenden Hund überwunden ist, werden die beiden Freunde. Und Rivalen.

Komisch geht es zuweilen zu, doch umso ernsthafter konfrontiert Reinhardt den Leser auch mit dem menschlichen Makel oder vielmehr – im Falle von Humboldt – mit dem Tier im Menschen. Seine Protagonisten handeln selbstsüchtig, sind neidisch, eifersüchtig und misstrauen einander. Zurecht – wie die Geschichte zeigt, denn nicht nur politisch hegt Humboldt höchst zweifelhafte Absichten, er hat auch ein Auge auf die Exfreundin des Journalisten geworfen.

„Der Hund ist zutiefst amoralisch“, kommentiert Reinhardt seine Figur. „Die Geschichte funktioniert wie eine Fabel.“ In diesem Fall jedoch eine Fabel mit einer Moral, die durchaus angezweifelt werden darf: „Muss man sich denn immer die Moral anderer aufzwingen lassen?“

Reinhardt denkt eben nicht schwarz-weiß. Er reduziert seine Charaktere nicht auf die eine bösartige Eigenschaft, sondern erkennt die menschliche Psyche als komplexes Gefüge. Den Leser, der seine Sympathien gerne auf eine Figur festlegt, führt er damit immer ein bisschen in die Irre. Wie etwa in seinem Ein-Personen-Stück „Rest im Glas“, das Gerlinger heute Abend vortragen wird. Die Geschichte des aufschneiderischen Immobilienmaklers Max spielt im Mittleren Westen Amerikas. „Max ist charmant. Er ist ein Schwein. Er benutzt andere Menschen und dann dreht sich alles um“, so Reinhardt. Das Stück zeigt, wie Menschen einander manipulieren und was passiert, wenn sich Machtverhältnisse plötzlich verlagern. Und auch, dass jeder einen kleinen Max in sich hat.

Geschichten ohne Grenzen

Reinhardt hat keine festgefahrene Vorstellung davon, wie Gerlinger die Rolle des Max verwirklichen soll. Da, sagt er, vertraue er seinem Schauspielerkollegen voll und ganz: „JederMensch liest ein Buch ja auf seine eigene Weise. So als würde es sich bei jedem Menschen um ein ganz verschiedenes Buch handeln.“ Auch Gerlinger geht ganz zwanglos mit seiner Aufgabe als Vorleser um. „Ich sitze nicht zu Hause und lese laut“, antwortet er auf die Frage hin, ob er die Texte vorher einübe. „Ich bin ja kein Rekorder, der immer wieder nur das gleiche von sich gibt. Ich reagiere natürlich auf die äußeren Umstände.“

Gerlinger wird im „sans titre“ aber nicht nur lesen, sondern auch moderieren und Reinhardt zu seinem Leben und seiner Arbeit als Schriftsteller befragen. Eine Profession, in der sich Reinhardt gar nicht allzu wichtig zu nehmen scheint. „Ach, ich spinne manchmal so rum“, sagt er. Er habe schon als Kind gerne geschrieben, da sei die Phantasie in seinem Kopf so aufgeblüht. Auch jetzt geht sie manchmal noch mit ihm durch. So denkt er sich beispielsweise beim Autofahren für seine Frau Geschichten aus. „Das mache ich dann ganz plastisch“, lacht er, „wenn dann einer daherkommt, sage ich, das ist Herr Kruse, der kommt gerade vom Schnapsladen, weil der Alkoholiker ist. Bis meine Frau dann irgendwann schreit: Hör auf, hör auf!“Komisch und skurril geht es also nicht nur in seinen Texten zu. Michael Gerlinger freut sich auf den Abend im „sans titre“ und erhofft sich einen gemütlichen Rahmen, in dem noch Platz zum Austausch mit den Zuhörern bleibt. 

Michael Gerlinger und Karl-Friedrich Reinhardt lesen heute Abend ab 20 Uhr im „sans titre“, Französische Straße 18.

Theresa Dagge

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